Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Cowford die Ankunft Williams und seiner Ritter in ihrem Dorf. William bedachte die dünnen, verschüchterten Gesichter, die hie und da in den Hauseingängen zu sehen waren und rasch wieder verschwanden, mit finsteren Blicken. Es war noch gar nicht lange her, da hatten diese Leute ihren Priester zu ihm geschickt und ihn die Bitte vortragen lassen, in diesem Jahr ihr Getreide selbst mahlen zu dürfen, weil sie sich den Zehnten für den Müller nicht leisten konnten. William war versucht gewesen, dem unverschämten Pfaffen die Zunge herauszureißen.
Es war kalt, und ein Ring aus Eis säumte das Wasser im Mühlteich. Das Wasserrad stand still, der Mühlstein schwieg. Aus dem Haus neben der Mühle trat eine Frau. Begehren durchzuckte William, als er sie ansah. Die Frau war ungefähr zwanzig Jahre alt, hatte ein hübsches Gesicht und einen dunklen Lockenschopf. Trotz der Hungersnot waren ihre Brüste groß und ihre Schenkel kräftig. Beim Anblick Williams und seiner Ritter verflog der muntere Ausdruck in ihrer Miene. Sie zuckte zusammen, drehte sich um und verschwand wieder im Haus.
»Sie mag uns nicht«, sagte Walter. »Das heißt, sie hat Gervase gesehen.« Es war ein uralter Witz, aber sie lachten immer wieder darüber.
Sie saßen ab und banden die Pferde an. Seit Beginn des Bürgerkriegs hatte sich die Zusammensetzung von Williams Gefolge leicht verändert. Außer Walter waren Ugly Gervase und Hugh Axe von Anfang an dabei. Gilbert war in dem unerwartet blutigen Kampf gegen die Steinbrucharbeiter gefallen und durch Guillaume ersetzt worden. Miles hatte in einer Schenke in Norwich einen Arm verloren, als es überm Würfelspiel zu einem Schwertgefecht gekommen war. Für ihn hatten sie Louis aufgenommen. Sie waren alle dem Knabenalter längst entwachsen, redeten und handelten aber wie eh und je, lachten und soffen, spielten und hurten. Wie viele Schenken sie zertrümmert hatten, wie viele Juden gequält und wie viele Mädchen entjungfert, konnte William längst nicht mehr sagen.
Der Müller kam aus dem Haus. Seine Verdrießlichkeit war zweifelsohne unmittelbare Folge der ewigen Unbeliebtheit aller Müller, doch diesmal war die Angst noch größer als sein Missmut. Recht so, dachte William. Ihm gefiel es, wenn die Leute bei seinem Erscheinen Angst hatten.
»Ich wusste gar nicht, dass du eine Tochter hast, Wulfric«, sagte er lüstern. »Du hast sie vor mir versteckt.«
»Maggie ist mein Weib«, erwiderte der Müller.
»Quatsch. Dein Weib ist eine angemalte alte Vettel, ich kenne sie doch.«
»Meine May ist im vergangenen Jahr gestorben, Herr. Ich habe mich neu verheiratet.«
»Du schmutziger alter Sack!«, sagte William und grinste. »Die da drinnen ist doch mindestens dreißig Jahre jünger als du!«
»Fünfundzwanzig …«
»Genug davon. Wo ist mein Mehl? Jeder zwanzigste Sack ist meiner!«
»Es steht alles bereit, Herr. Wollt Ihr bitte näher treten …«
Der Weg zur Mühle führte durch das Haus. William und seine Männer folgten Wulfric in die Wohnstube, den einzigen Raum. Die junge Müllerin kniete vor dem Kamin und legte Holz nach. Die Tunika spannte sich über ihrem Rücken. Müllersfrauen waren immer unter den letzten, die eine Hungersnot zu spüren bekamen.
William blieb stehen und stierte auf ihren Hintern. Die Ritter grinsten, und der Müller zappelte unruhig hin und her. Da drehte Maggie sich um und bemerkte, dass alle sie anstarrten. Vollkommen verwirrt stand sie auf.
William blinzelte ihr zu und sagte: »Auf, Maggie, bring uns Bier. Wir sind durstige Männer.«
Durch einen kleinen Gang gelangten sie in die Mühle. Die Mehlsäcke waren vor dem kreisförmigen Dreschboden gestapelt. Viele waren es nicht. In guten Jahren stapelten sie sich übermannshoch. »Ist das alles?«, fragte William.
»Die Ernte war so schlecht, Herr«, stammelte Wulfric.
»Wo sind meine?«
»Hier, Herr.« Er deutete auf einen Stapel von acht oder neun Säcken.
»Was?«, brüllte William, und die Zornesröte stieg ihm ins Gesicht. »Das bisschen? Draußen stehen zwei Fuhrwerke, und du bietest mir das? «
Wulfric machte ein Gesicht wie ein geprügelter Hund. »Es tut mir leid, Herr.«
William zählte. »Das sind ja nur neun Säcke?«
»Mehr habe ich nicht für Euch, Herr.« Der Müller war den Tränen nahe. »Seht doch meinen Stapel daneben – das sind auch nicht mehr.«
»Du verlogener Hund!«, schrie William. »Den Rest hast du unter der Hand verkauft!«
»Nein, Herr«, beteuerte Wulfric. »Es hat nie mehr
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