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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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auf sich genommen hatte. Vierunddreißig Jahre war sie jetzt alt. Mein halbes Leben habe ich dafür gekämpft, dachte sie, meine besten Jahre dafür gegeben. Sie dachte daran, wie sie Wolle in Säcke gestopft hatte, bis ihr die Hände schwollen und bluteten. Sie dachte an die vielen Gesichter, die sie unterwegs gesehen hatte, von Gier, Grausamkeit und Lüsternheit verzerrte Gesichter von Männern, die sie beim geringsten Zeichen von Schwäche gewiss getötet hätten. Sie dachte daran, wie sich ihr Herz gegen den guten Jack verhärtet und sie an seiner statt Alfred geheiratet hatte, und an die vielen Monate, in denen sie wie ein Hund vor der Bettstatt ihres Mannes hatte schlafen müssen, und dies alles einzig und allein deshalb, weil er versprochen hatte, Waffen und Rüstung für Richard zu kaufen … »Hier hast du deine Burg zurück, Vater«, sagte sie laut, doch niemand hörte sie in der jubelnden Menge. »Dein Wille ist geschehen«, sagte sie zu ihrem toten Vater, und in ihren Triumph mischte sich Bitterkeit. »Ich habe es dir versprochen und mein Versprechen gehalten. Ich habe mich um Richard gekümmert, und er hat jahrelang gekämpft und gekämpft. Und heute kehren wir endlich heim, und Richard ist Graf von Shiring. Doch jetzt …« Ihre Worte wurden zum Schrei, doch schrien jetzt alle, und niemand bemerkte die Tränen, die ihr die Wangen herunterliefen. »Doch jetzt, Vater, bin ich mit dir fertig. Fahr hinab in dein Grab, und gib mir Frieden!«

Kapitel XVI
    Remigius war hochmütig, selbst in der Not. Hocherhobenen Hauptes betrat er das große Holzhaus in Hamleigh und blickte an seiner langen Nase vorbei auf die riesigen, grob behauenen Balken, die das Dach trugen, die Wände, die aus mit Lehm beworfenem Flechtwerk bestanden, und die offene Feuerstelle auf dem gestampften Boden.
    William sah ihn hereinkommen. Ich mag ja gegenwärtig eine Pechsträhne haben, dachte er, aber so heruntergekommen wie du bin ich noch lange nicht … Ihm entgingen weder die mehrfach geflickten Sandalen noch die schäbige Kutte des Mönchs, weder das unrasierte Kinn noch die verwahrlosten Haare. Remigius war nie besonders dick gewesen – doch jetzt war er so mager wie nie zuvor. Der hochmütige Zug, der seinem Gesicht eingebrannt zu sein schien, konnte weder die tiefen Spuren der Abzehrung noch die blutunterlaufenen Tränensäcke verhüllen. Remigius war noch nicht gebrochen, aber er hatte eine sehr schwere Niederlage erlitten.
    »Gott segne Euch, mein Sohn«, sagte er zu William.
    Komm mir bloß nicht so, dachte William und sagte: »Was willst du hier, Remigius?« Dass er den Mönch duzte und ihn zusätzlich noch durch die Verweigerung der Anrede »Vater« oder »Bruder« beleidigte, geschah in voller Absicht.
    Remigius zuckte zusammen, als habe man ihn geschlagen, und William dachte: Dumm angeredet wurdest du sicher schon des Öfteren, seitdem es mit dir so bergab geht … Remigius sagte: »Graf Richard hat die Ländereien, die Ihr mir in meiner Eigenschaft als Dekan des Domkapitels von Shiring übereignet habt, wieder in seinen Besitz genommen.«
    »Das überrascht mich nicht«, gab William zurück. »Alles wird den ehemaligen Eigentümern zurückerstattet.«
    »Aber dadurch verliere ich meinen Lebensunterhalt.«
    »Nicht nur du, viele andere auch«, erwiderte William leichthin. »Dir wird nichts anderes übrigbleiben, als nach Kingsbridge zurückzukehren.«
    Remigius wurde blass vor Wut. »Das kann ich nicht«, sagte er mit leiser Stimme.
    William rieb Salz in die Wunde. »Warum nicht?«
    »Das wisst Ihr ganz genau.«
    »Was würde Philip denn sagen, he? Dass du kleine Mädchen nicht mehr nach Kriegsgeheimnissen ausforschen sollst? Er hält dich wohl für einen Verräter, weil du mir gesagt hast, wo die Outlaws stecken, wie? Oder ärgert er sich darüber, dass du Dekan einer Kirche werden solltest, die als Konkurrenzunternehmen zu seiner Kathedrale gedacht war? Tja, wenn’s so ist, dann kann ich schon verstehen, dass du nicht mehr zurückwillst.«
    »Gebt mir etwas «, bat Remigius. »Ein Dorf. Ein Gehöft. Oder eine kleine Kirche!«
    »Verlierer werden nicht bezahlt, Mönch!«, sagte William hart. Das Gespräch machte ihm Spaß. »In der Welt außerhalb der Klostermauern kümmert sich kein Schwein um dich. Die Enten fressen die Würmer, die Füchse töten die Enten, die Menschen erlegen die Füchse, und der Teufel jagt die Menschen.«
    Remigius’ Stimme verwandelte sich in ein Flüstern. »Was soll ich

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