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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Aliena schon befürchtet hatte, gefiel es dem Hauptmann ganz und gar nicht, dass Elisabeth ihm in dieser Form Befehle erteilte. Sein Widerspruchsgeist war geweckt. »Warum kann ich den Leuten nicht Mitteilung machen?«
    Aliena spürte, dass der Mann sich nicht so ohne Weiteres überzeugen ließ: Möglicherweise war er für vernünftige Argumente einfach zu dumm. »Ich habe der Gräfin folgenreiche Nachrichten aus Winchester überbracht«, sagte sie. »Sie möchte die Burgbewohner persönlich darüber in Kenntnis setzen.«
    »Und was sind das für Nachrichten?«
    Aliena gab ihm keine Antwort. Elisabeth wirkte auf einmal wieder sehr ängstlich. Aber da Aliena ihr über den Inhalt der fiktiven Botschaft nichts gesagt hatte, konnte sie Michaels Forderung gar nicht erfüllen. Sie entschloss sich, die Frage einfach zu ignorieren, und fuhr fort, als habe Michael gar nichts gesagt: »Sag den Wachen, sie sollen nach einer Gruppe von zehn oder zwölf Reitern Ausschau halten. Ihr Anführer wird eine weitere Botschaft von Graf William mit sich führen und muss unverzüglich zu mir vorgelassen werden. Und jetzt läute die Glocke.«
    Michael war noch nicht bereit, klein beizugeben. Während Aliena vor Aufregung den Atem anhielt, runzelte er die Stirn und sagte: »Noch mehr Boten? Diese Dame hier mit einer Botschaft – und zwölf Reiter mit einer anderen?«
    »Ja – und nun geh bitte und läute die Glocke.« Aliena hörte deutlich ein leises Zittern in ihrer Stimme.
    Michael gab seinen Widerstand auf. Er konnte nicht begreifen, was hier gespielt wurde – aber er wusste auch nicht, was er noch hätte einwenden können. »Sehr wohl, Lady«, sagte er schließlich mürrisch und entfernte sich.
    Aliena atmete auf.
    »Was wird jetzt geschehen?«, fragte Elisabeth.
    »Wir warten, bis sich die Leute im Burghof versammelt haben«, sagte Aliena. »Dann berichtet Ihr ihnen von dem Friedensschluss zwischen König Stephan und Herzog Henry. Dadurch werden sie abgelenkt. Noch während Ihr sprecht, wird Richards Vorhut eintreffen. Die Wachen werden sie für die angekündigten Boten von Graf William halten, das heißt, sie werden nicht sofort die Zugbrücke hochziehen. Ihr müsst versuchen, Euer Publikum so lange bei der Stange zu halten, bis die Vorhut die Burg erreicht hat. Habt Ihr das verstanden?«
    Elisabeth war furchtbar aufgeregt. »Und was dann?«, fragte sie.
    »Sobald ich Euch Bescheid sage, verkündet Ihr, dass Ihr die Burg dem rechtmäßigen Grafen, also Richard, übergebt. Richards Streitmacht wird daraufhin ihre Deckung verlassen und die Burg erstürmen. Michael wird dann merken, was gespielt wird – seine Männer aber sehen sich urplötzlich vor einem Loyalitätskonflikt: Schließlich habt Ihr sie soeben zur kampflosen Übergabe der Burg aufgefordert und Richard den ›rechtmäßigen Grafen‹ genannt! Außerdem wird die mittlerweile auf dem Burghof befindliche Vorhut das Heraufziehen der Zugbrücke verhindern.« Die Glocke begann zu läuten. Alienas Magen verkrampfte sich vor Angst. »Wir haben keine Zeit mehr!«, rief sie. »Wie fühlt Ihr Euch?«
    »Ich fürchte mich so.«
    »Ich mich auch. Gehen wir!«
    Sie gingen die Treppe hinunter. Die Glocke am Turm des Torhauses läutete wie in unbeschwerten Kindertagen. Dieselbe Glocke, derselbe Klang – aber eine andere Aliena, dachte Aliena. Sie wusste, dass die Glocke weit über die Felder scholl und auch am Waldrand noch zu hören war. Richard würde nun leise das Vaterunser sprechen und damit die Zeit bis zur Entsendung der Vorhut messen.
    Aliena und Elisabeth verließen den Wohnturm und begaben sich über die innere Zugbrücke zum unteren Burghof. Elisabeth war blass vor Furcht, doch die strenge Linie ihres Mundes verriet Entschlossenheit. Aliena lächelte ihr aufmunternd zu, zog sich dann aber schnell wieder die Kapuze vors Gesicht. Zwar hatte sie bislang noch niemanden gesehen, den sie kannte, doch wusste sie, dass ihr eigenes Gesicht in der Grafschaft weithin bekannt war, und rechnete über kurz oder lang fest mit ihrer Entlarvung. Einige Leute musterten sie neugierig, aber niemand sprach sie an.
    In der Mitte des unteren Burghofs blieben die beiden Frauen stehen. Da der Grund zum Torhaus hin etwas abfiel, konnte Aliena über die Köpfe der bereits versammelten Menge hinweg durchs Tor auf die umliegenden Felder sehen. Die Vorhut musste inzwischen schon aufgebrochen sein, doch war nirgendwo ein Zeichen zu erkennen. O Gott, dachte Aliena angstvoll, hoffentlich ist nicht

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