Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
tun?«
»Betteln«, antwortete William lächelnd. Remigius machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Haus. Immer noch stolz, dachte William, aber nicht mehr lange. Bald wirst du betteln …
Es freute ihn, dass es Leute gab, die tiefer gefallen waren als er. Nie würde er die qualvolle Verzweiflung vergessen, die ihn befallen hatte, als man ihm am Tor seiner eigenen Burg den Einlass verwehrte. Sein Misstrauen war bereits geweckt worden, als er in Winchester erfuhr, dass Richard mit einigen seiner Leute die Stadt verlassen habe. Als die Bedingungen des Friedensvertrags bekannt wurden, hatte sich das Unbehagen in höchste Betroffenheit verwandelt. William hatte seine Ritter und Schergen zusammengetrommelt und war auf schnellstem Wege nach Earlscastle galoppiert. Da er eine Besatzung zurückgelassen hatte, rechnete er damit, dass Richard und seine Mannen die Burg belagerten und zu diesem Zweck auf dem freien Vorgelände ein Lager aufgeschlagen hätten. Als sie schließlich die Burg erreichten, war alles ruhig und nirgendwo ein Feind zu sehen. William fiel ein Stein vom Herzen, und er machte sich schon Vorwürfe, dass er auf Richards plötzliches Verschwinden so überzogen reagiert hatte.
Doch dann sah er auf einmal, dass die Zugbrücke hochgezogen war. William ritt bis zum Rand des Burggrabens vor und rief: »Macht auf! Der Graf kehrt zurück!«
Da war oben auf den Zinnen Richard erschienen und hatte zurückgerufen: »Der Graf ist bereits anwesend.«
William hatte geglaubt, der Boden unter seinen Füßen tue sich auf. Immer hatte er Angst vor Richard gehabt, immer den gefährlichen Rivalen in ihm gesehen, vor dem man sich hüten musste. Doch gerade zum damaligen Zeitpunkt hatte er die Gefahr nicht besonders hoch eingeschätzt. Später, hatte er gedacht, nach Stephans Ableben und Henrys Thronbesteigung, da mochte es wieder gefährlich werden, aber bis dahin hätten gut und gerne noch zehn Jahre ins Land gehen können …
Nun saß er in seinem Landhaus und grübelte über seine Fehler nach. Verbittert gestand er sich ein, dass Richard mit großer Gerissenheit zu Werke gegangen war: Er hatte eine kleine Lücke erkannt und sofort ausgenutzt. Da der Krieg noch nicht offiziell beendet gewesen war, konnte man ihn nicht des Landfriedensbruchs anklagen. Sein Anspruch auf die Grafschaft war durch die Bestimmungen des Friedensvertrags legitimiert, und zudem hatte der geschlagene, alt und müde gewordene Stephan gar nicht mehr die Kraft für weitere Gefechte.
Großmütig hatte Richard alle Bewaffneten, die weiterhin für William Dienst tun wollten, freigelassen. Waldo Oneeye hatte William schließlich erzählt, wie die Eroberung der Burg vonstatten gegangen war. Elisabeths Verrat war unglaublich, doch das für William Demütigendste an der Sache war Alienas Rolle in dem Komplott. Das hilflose kleine Mädchen, das er vor vielen Jahren gefoltert, vergewaltigt und von der Burg vertrieben hatte, war zurückgekehrt und hatte sich gerächt. Jedes Mal, wenn er daran dachte, brannte die Verbitterung in seinem Magen wie ein Essigtrunk.
Im ersten Impuls hatte er sogleich den Kampf gegen Richard aufnehmen wollen. Er hätte seine Armee behalten und sie von dem, was das Land noch hergab, ernähren können – den Bauern ließen sich schon noch Schutzgelder und Naturalien abpressen. Mit gezielten Schlägen aus dem Hinterhalt hätte sich der Kampf gegen Richard schon noch fortsetzen lassen. Andererseits: Richard hielt die Burg, und die Zeit war auf seiner Seite. Hinter ihm stand der junge Herzog und künftige König Henry, während er, William, nur mehr von dem alten, geschlagenen Stephan unterstützt wurde.
William hatte sich schließlich dazu durchgerungen, zunächst einmal den Schaden zu begrenzen. Er war ins heimatliche Dorf Hamleigh zurückgekehrt und hatte wieder in jenem alten Herrschaftshaus Wohnung genommen, in dem er aufgewachsen war. Hamleigh und die Dörfer in der Umgebung waren seinem Vater dreißig Jahre zuvor übereignet worden. Da das Gebiet nie zur Grafschaft Shiring gehört hatte, besaß Richard keinerlei Ansprüche darauf. William hoffte, Richard durch sein Stillhalten von weitergehenden Maßnahmen gegen ihn abzuhalten. Richard hatte seine Rache ausgekostet – mochte er sich nun damit zufriedengeben und ihn, William, in Ruhe lassen. Bisher war dieser Plan aufgegangen.
Was William jedoch nicht ausstehen konnte, war das Leben in Hamleigh. Alles war ihm verhasst: die kleinen, schmucken Häuser, die aufgeregt
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