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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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folgte hinterdrein. Sie hatten die Straße kaum erreicht, als er absaß und zu Philip sagte: »So nehmt mein Pferd, Vater, und lasst mich zu Fuß gehen. Ich bitte Euch.«
    Philip drehte sich nach ihm um. Seine Antwort war unmissverständlich: »Du steigst jetzt schleunigst wieder auf und widersprichst mir nicht mehr! Schweig still und denk darüber nach, was hier geschieht und warum !«
    Verwirrt tat Jonathan, wie ihm geheißen: Er stieg wieder auf sein Pferd und sagte kein Wort mehr.
    Nach Kingsbridge waren es noch zwanzig Meilen. Philip schritt munter voran. Er war voller Freude. Remigius’ Rückkehr glich den Verlust des Steinbruchs mehr als aus. Ich habe vor Gericht eine Niederlage erlitten, dachte er, aber dabei ging es nur um Steine. Was ich bekommen habe, ist unvergleichlich wertvoller.
    Ich habe heute eines Menschen Seele gewonnen.
    +++
    Im Fass schwammen frische, glänzend rote und gelbe Äpfel, und die Sonnenstrahlen glitzerten auf dem Wasser. Sally, neun Jahre alt und leicht zu begeistern, beugte sich, die Hände auf dem Rücken verschränkt, über den Rand und versuchte, mit den Zähnen einen Apfel herauszufischen. Der Apfel spielte aber nicht mit: Er tauchte unter – und Sallys Gesicht ebenfalls. Prustend und quietschend richtete das kleine Mädchen sich auf. Aliena lächelte dünn und trocknete ihr das Gesicht ab.
    Es war ein warmer Nachmittag im Spätsommer. Man feierte den Ehrentag eines Heiligen, und fast alle Bewohner der Stadt hatten sich auf der Wiese am anderen Ufer des Flusses eingefunden. Aliena hatte solche Festtage immer genossen, doch diesmal war ihre Stimmung gedrückt. Ständig musste sie daran denken, dass es ihr letztes Fest in Kingsbridge war. Sie war noch immer entschlossen, Jack zu verlassen, doch litt sie seit jenem Tag, an dem sie ihren Entschluss getroffen hatte, an den Vorboten des Abschiedsschmerzes.
    Auch Tommy trieb sich in der Nähe des Fasses herum. »Na, wie wär’s, Tommy?«, rief Jack. »Willst du’s nicht auch mal versuchen?«
    »Nein, noch nicht«, antwortete Tommy.
    Tommy, inzwischen elf, wusste, dass er gescheiter war als seine Schwester, und er hielt sich auch für gescheiter als die meisten anderen Menschen, mit denen er es zu tun hatte. Er sah den Kindern genau zu und studierte vor allem die Technik derjenigen, die sich erfolgreich Äpfel aus dem Wasser schnappten. Aliena beobachtete ihn beim Beobachten. Tommy war ihr ganz besonderer Liebling. Als sie Jack zum ersten Mal gesehen hatte, war er ungefähr so alt gewesen wie Tommy jetzt. Und die beiden waren sich so ähnlich! Ihm zuzusehen entfachte in ihr die Sehnsucht nach der Kindheit, der Jugend. Jack hätte es gerne gesehen, wenn Tommy Baumeister geworden wäre, doch bisher zeigte der Junge noch kein besonderes Interesse an seinem Fach. Aber er hatte ja auch noch so viel Zeit …
    Endlich beugte sich Tommy über das Fass und öffnete den Mund. Er drückte den Apfel, auf den seine Wahl gefallen war, mit dem Gesicht unter die Wasseroberfläche und tauchte kurz darauf triefend wieder auf, den Apfel triumphierend zwischen den Zähnen.
    Wenn Tommy sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann schaffte er es auch. In ihm steckte etwas von seinem Großvater, Graf Bartholomäus. Er hatte einen sehr starken Willen und einen unbeugsamen Sinn für Gut und Böse.
    Sally hatte dagegen Jacks unbekümmertes Wesen und seine Verachtung für alle von Menschen erfundenen Regeln und Gesetze geerbt. Wenn Jack den Kindern Geschichten erzählte, war Sally immer auf der Seite des Schwächeren, während Tommy ihn eher verurteilte. Die Eigenschaften der Eltern spiegelten sich in den Kindern wider: Die fröhliche Sally hatte Alienas ebenmäßige Züge und auch die dunklen, wirren Locken ihrer Mutter, der entschlossene Tommy Jacks karottenfarbenes Haar, weiße Haut und blaue Augen.
    »Da kommt Onkel Richard!«, rief Tommy plötzlich aus.
    Aliena drehte sich um. Tommy hatte recht – da kam ihr Bruder, der Graf von Shiring, in Begleitung einer Handvoll Ritter und Knappen über die Wiese geritten. Aliena war entsetzt. Wie konnte er sich nach alldem, was er Philip angetan hatte, noch hier blicken lassen?
    Richard ritt geradewegs auf das Fass zu und saß ab. Er lächelte nach allen Seiten und schüttelte Hände, die ihm entgegengestreckt wurden. »Versuch mal, einen Apfel zu schnappen, Onkel Richard!«, sagte Tommy. »Ich glaub, du schaffst es!«
    Richard tauchte seinen Kopf ins Fass und kam mit einem Apfel zwischen den starken weißen

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