Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
nichts«, sagte Richard. »Was soll William denn tun?«
»Nun, er verfügt immer noch über einen königlichen Erlass, demzufolge du dich wegen Mordes zu verantworten hast. Jedes Mal, wenn du die Burg verlässt, hetzt er dir seine Häscher auf den Hals.«
»Ich werde überall eskortiert sein.«
»Auch wenn du in Shiring und anderswo Gericht hältst?«
»Auch dort.«
»Was meinst du – werden sich die Leute noch an deine Urteilssprüche halten, wenn sie herausfinden, dass du selbst auf der Flucht vor dem Gesetz bist?«
»Ich möcht’s ihnen raten«, sagte Richard mit finsterer Miene. »Sie sollen nur daran denken, wie William, als er Graf war, seinen Urteilssprüchen Geltung verschafft hat.«
»Sie fürchten dich vielleicht nicht ganz so sehr wie William und halten dich vermutlich für weniger böse und blutrünstig. Ich hoffe, sie täuschen sich darin nicht.«
»Verlasst Euch nicht darauf.«
Aliena runzelte die Stirn. Diese Skepsis, so dachte sie, ist so gar nicht nach Philips Art – es sei denn, er verfolgt damit einen ganz bestimmten Zweck. Wahrscheinlich dient dieses Frage-und-Antwort-Spiel lediglich zur Vorbereitung eines Plans, den er uns nachher präsentieren wird … Ich wette, es hat irgendetwas mit dem Steinbruch zu tun.
»Meine Hauptsorge«, sagte Philip, »ist der König. Indem du dich weigerst, auf den Mordvorwurf zu antworten, begehrst du gegen die Krone auf. Vor einem Jahr noch hätte ich gesagt, und wenn schon, dann tust du’s eben. Aber inzwischen ist der Krieg vorbei. Die Grafen können nicht mehr so einfach tun und lassen, was ihnen gefällt.«
»So wie’s aussieht, musst du dich dem Verhör wirklich stellen, Richard«, meinte Jack.
»Aber das kann er doch nicht«, sagte Aliena. »Er hat nicht die geringste Chance auf ein gerechtes Verfahren.«
»Aliena hat recht«, sagte Philip. »Der Fall würde am königlichen Hof zur Verhandlung kommen. Der Tathergang ist ja bekannt: Alfred versuchte Aliena Gewalt anzutun und wurde dabei von Richard überrascht; es kam zu einem Kampf, in dessen Verlauf Alfred von Richard getötet wurde. Alles hängt nun von der Auslegung ab. Da aber William, der Ankläger, ein treuer Anhänger von König Stephan ist, Richard hingegen einer der engsten Waffenbrüder Henrys, wird das Urteil voraussichtlich ›schuldig‹ lauten. Warum hat König Stephan denn den Haftbefehl unterzeichnet? Wahrscheinlich, weil er sich an Richard rächen will. Alfreds Tod verschafft ihm da einen ausgezeichneten Vorwand.«
»Wir müssen uns an Herzog Henry wenden«, sagte Aliena. »Er muss für Richard Partei ergreifen.«
Nun war es an Richard, seine Zweifel zu äußern. »Ich würde mich nicht darauf verlassen«, sagte er. »Henry ist gegenwärtig in der Normandie. Er kann ein Protestschreiben schicken – aber das ist auch schon alles. Gewiss, er kann auch mit einer Flotte übers Meer kommen, doch das wäre dann ein flagranter Verstoß gegen die Abmachungen des Friedensvertrags. Ich glaub nicht, dass er das für mich riskiert.«
Aliena sah kaum noch einen Ausweg. »Oh, Richard«, sagte sie, »du bist in einem furchtbaren Netz gefangen, und das alles nur, weil du mich gerettet hast.«
Richard raffte sich zu seinem charmantesten Lächeln auf. »Ich würde es auf der Stelle wieder tun, Allie.«
»Ich weiß.« Er meinte es ernst. Richard war tapfer, all seinen Schwächen zum Trotz. Es war einfach unangebracht, dass er so kurz nach seinem erfolgreichen Aufstieg zum Grafen in eine solch unlösbare Zwickmühle geriet. Als Graf hatte er Aliena bisher enttäuscht – bitter enttäuscht sogar –, aber ein solches Schicksal hatte er nicht verdient.
»Das sind vielleicht Aussichten«, sagte er. »Entweder ich bleibe hier im Kloster und harre aus, bis Henry König ist, oder man hängt mich wegen Mordes. Ich würde ja sogar Mönch werden – aber ihr Mönche esst mir zu viel Fisch.«
»Es gibt möglicherweise noch einen anderen Ausweg«, sagte Philip.
Aliena sah ihn erwartungsvoll an. Sie hatte von Anfang an vermutet, dass der Prior einen Plan ausbrütete. Inzwischen war sie für alles dankbar, was Richard aus seinem Dilemma befreien könnte.
»Du könntest Buße tun für die Tötung Alfreds«, fuhr Philip fort.
»Müsste ich dabei Fisch essen?«, gab Richard respektlos zurück.
»Ich denke an das Heilige Land«, sagte Philip.
Alle schwiegen sie. In Palästina herrschte der König von Jerusalem, Balduin I ., ein Christ französischer Herkunft. Das Land sah sich unablässig
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