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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Jahre …
    Ohne Prior Philip, der soeben vom Kreuzgang her die Kirche betrat und lächelnd auf sie zukam, hätte sie Jack vielleicht nie wiedergesehen. Dass er sie endlich heiraten konnte, stimmte ihn sichtlich froh. Aliena konnte sich noch lebhaft an die Umstände ihrer ersten Begegnung erinnern, an die Verzweiflung, die sie erfasst hatte, weil ein Händler sie um den gerechten Lohn für ihren mit unendlicher Mühe zusammengetragenen Sack Wolle bringen wollte … und an die überwältigende Dankbarkeit, die sie ihrem Retter, jenem jungen, schwarzhaarigen Mönch entgegenbrachte, der zu ihr gesagt hatte.: »Ich kaufe Euch alle Eure Wolle ab …« Inzwischen waren seine Haare grau.
    Er hatte sie gerettet – und später fast zugrunde gerichtet, indem er Jack gezwungen hatte, sich zwischen ihr und der Kathedrale zu entscheiden. In Fragen der Moral war Philip ein harter, unbeugsamer Mann von ähnlichem Schlag wie ihr Vater, Graf Bartholomäus. Dennoch hatte er es sich nicht nehmen lassen, die kirchliche Trauung zu vollziehen.
    Ellen hatte Alienas erste Ehe verflucht, und der Fluch hatte seine Wirkung getan. Im Nachhinein war Aliena froh darüber. Wenn meine Ehe mit Alfred nicht völlig unerträglich gewesen wäre, dachte sie, würde ich vielleicht heute noch mit ihm zusammenleben. Man durfte gar nicht darüber nachdenken, was alles hätte geschehen können – ein kalter Schauer überlief sie. Sie dachte an das hübsche, liebeshungrige Arabermädchen in Toledo, das sich in Jack verliebt hatte: Was wäre geschehen, wenn er sie geheiratet hätte? Ich wäre mit meinem Kind auf den Armen in diese Stadt gekommen und hätte Jack im Schoße einer arabischen Großfamilie vorgefunden – und in den Armen einer fremden Frau, mit der er Geist und Körper teilt … Der Gedanke allein war ihr ein Graus.
    Jack murmelte neben ihr das Vaterunser. Unglaublich, dachte sie, dass ich ihm, als ich damals nach Kingsbridge kam, zunächst nicht mehr Aufmerksamkeit schenkte als der Katze des Kornhändlers … Ihm hingegen war sie sogleich aufgefallen: Er hatte sie all die Jahre hindurch heimlich geliebt – und mit welcher Engelsgeduld! Er hatte erlebt, wie die heiratsfähigen Söhne des Landadels um sie geworben hatten, einer nach dem anderen, und wie ein jeder von dannen geschlichen war, enttäuscht, beleidigt oder trotzig. Raffinierter Bursche, der er war, hatte er bald erkannt, dass Aliena mit herkömmlichen Formen der Werbung nicht zu gewinnen war, und sich ihr zunächst nur indirekt und unverfänglich genähert, als Freund eher denn als Verliebter. Bei ihren Treffen im Wald hatte er sie mit seinen Geschichten so umgarnt, dass sie sich in ihn verliebte, ohne es zu merken. Sie erinnerte sich an seinen ersten Kuss: Sanft und wie beiläufig auf ihre Lippen gehaucht, hatte er sie verbrannt, und das Feuer glomm wochenlang nach. Noch lebhafter war die Erinnerung an den zweiten Kuss: Jedes Mal, wenn Aliena die Walkmühle rumpeln hörte, musste sie an das so dunkle, unbekannte und unwillkommene Gefühl der Lust denken, welches sie damals überkommen hatte.
    Bis heute litt Aliena darunter, wie ihre Gefühle danach erkaltet waren. Jack liebte sie mit Leib und Seele – sie aber war so verstört und verängstigt, dass sie sich von ihm abwandte und vorgab, sich nichts aus ihm zu machen. Ihr Verhalten verletzte ihn tief, und obwohl er sie auch weiterhin liebte und die Wunde inzwischen längst verheilt war, blieb, wie bei tiefen Wunden üblich, eine Narbe zurück. Manchmal konnte Aliena sie sogar sehen – in der Art, wie er sie anschaute, wenn sie sich wieder einmal stritten und sie ihn mit harten Worten anfuhr. Da schienen seine Augen zu sagen: Ja, ich kenne dich, du kannst so kalt und herzlos sein. Du kannst mich verletzen. Ich muss auf der Hut sein …
    War da ein Schimmer des Argwohns in seinem Blick? Jack gelobte ihr ewige Liebe und Treue bis in den Tod. Er hat Grund genug, an mir zu zweifeln, dachte Aliena. Ich habe Alfred geheiratet – gibt es überhaupt einen schlimmeren Treuebruch? Aber ich habe das wiedergutgemacht, bin ihm gefolgt bis ans Ende der christlichen Welt und habe ihn schließlich gefunden.
    Enttäuschungen, Treuebrüche, Versöhnungen – das war das tägliche Brot der Ehe. Sie und Jack hatten all dies schon vor ihrer Hochzeit durchlebt. Inzwischen, endlich, konnte Aliena guten Gewissens von sich behaupten, dass sie ihren Jack kannte. Nein, große Überraschungen waren nicht mehr zu erwarten. Dass sie so spät ihren

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