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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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machen, ja er hatte ihn regelrecht dazu gezwungen, ein paar Jahre lang auf der Dombaustelle zu arbeiten. Aber es hatte alles nichts gefruchtet: Tommy interessierte sich für Landwirtschaft, Pferde, Jagen und Fechten, also alles Dinge, die seinen Vater zeitlebens kaltgelassen hatten. Er hatte als Knappe bei einem Ritter gedient und schließlich selbst den Ritterschlag empfangen. Aliena hatte ihm daraufhin ein kleineres Landgut mit fünf Dörfern abgetreten. Das künstlerische Talent des Vaters hatte eindeutig Sally geerbt. Tommy war mit einer Tochter des Grafen von Bedford verheiratet; die beiden hatten drei Kinder. Sally mit ihren fünfundzwanzig Jahren war noch ledig; in ihr steckte viel von ihrer Großmutter Ellen. Sie war stolz auf ihre Unabhängigkeit und verteidigte sie offensiv.
    Jack stand vor der Westfassade der Kathedrale und blickte hinauf zu den Zwillingstürmen. Sie waren jetzt fast fertig, und die riesige Bronzeglocke aus der Gießerei in London war bereits unterwegs. Allzu viel gab es für Jack nicht mehr zu tun: Hatte er einst über eine ganze Armee von kräftigen Steinmetzen, Maurern und Zimmerleuten geboten, so unterstand ihm inzwischen nur noch eine Handvoll Schnitzer und Maler, die auf kleinstem Raum Präzisionsarbeit leisteten: Sie schufen Statuen und kunstvolle Fialen und vergoldeten die Flügel der steinernen Engel. Auch zu planen gab es nicht mehr so viel wie früher, abgesehen von gelegentlichen Neubauten für die Priorei: eine Bibliothek, ein Kapitelhaus, bessere Unterkünfte für die Pilger, ein neues Waschhaus, verschiedene Wirtschaftsgebäude. Jack fand zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder Zeit für eigene Steinmetzarbeiten. Am liebsten hätte er sofort damit begonnen, Tom Builders alten Ostflügel abzureißen und durch einen neuen zu ersetzen. Dagegen sperrte sich allerdings Philip. Der Prior wollte die fertige Kirche wenigstens ein Jahr lang genießen, bevor er sie wieder den Bauleuten überließ. Philip spürte sein Alter, und Jack dachte bisweilen, hoffentlich wird der alte Knabe wenigstens so alt, dass er den Neubau des Ostflügels noch miterlebt.
    Die hochgewachsene Gestalt Bruder Jonathans erschien im Küchenhof und steuerte auf Jack zu. Jonathan ist der Garant für den Fortgang der Bauarbeiten auch über Philips Tod hinaus, dachte Jack. Er wird gewiss ein guter Prior – vielleicht sogar ein so guter wie Philip. Ein Glück, dass die Nachfolgefrage geklärt ist – da weiß man, woran man ist, und kann entsprechend langfristig planen …
    Jonathan kam ohne Umschweife zur Sache. »Diese Kirchengerichtsverhandlung macht mir Kummer, Jack«, sagte er.
    »Ich dachte, das wär bloß viel Lärm um nichts.«
    »Mir ging’s genauso – nur hat sich inzwischen herausgestellt, dass der Erzdiakon ein alter Feind von Prior Philip ist.«
    »Teufel auch! Aber das allein reicht doch wohl nicht aus für einen Schuldspruch.«
    »Das steht in seinem Ermessen.«
    Jack schüttelte angewidert den Kopf. Manchmal fragte er sich, wie Leute wie Jonathan es noch in einer so schamlos korrupten Kirche aushielten. »Was hast du vor?«, fragte er.
    »Es gibt nur eine Möglichkeit, seine Unschuld zu beweisen! Wir müssen herausfinden, wer meine Eltern waren.«
    »Dafür ist’s ein bisschen zu spät, meinst du nicht auch?«
    »Es ist unsere einzige Hoffnung.«
    Jack war sichtlich erschüttert. So ernst hatte er sich die Lage nicht vorgestellt. »Wo willst du denn mit der Suche anfangen?«, fragte er.
    »Bei dir. Ich wurde im Wald unweit von St.-John-in-the-Forest geboren. Zu jener Zeit hast du in jener Gegend gewohnt.«
    »Hab ich das?« Jack begriff nicht, worauf Jonathan hinauswollte. »Eins stimmt: Ich lebte bis zu meinem elften Lebensjahr im Wald – und bin ungefähr elf Jahre älter als du.«
    »Prior Philip ist dir und deiner Mutter am Tag nach meiner Auffindung begegnet. Ihr befandet euch in Begleitung von Tom Builder und seinen beiden Kindern.«
    »Ja, daran erinnere ich mich. Er gab uns etwas zu essen. Wir waren am Verhungern.«
    »Nun denk mal genau nach: Hast du damals irgendwo in dem Gebiet jemanden mit einem neugeborenen Kind gesehen? Oder vielleicht eine hochschwangere Frau?«
    »Moment mal …« Jack war verwirrt. »Sagtest du nicht gerade, du seist in der Nähe von St.-John-in-the-Forest gefunden worden?«
    »Ja. Hast du das nicht gewusst?«
    Jack glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. »Nein, das habe ich nicht gewusst«, antwortete er langsam. Er zermarterte sein Gehirn. »Als wir

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