Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
du jung warst, hast du auch deinen Spaß daran gehabt …
    Jonathan stürmte zur Tür herein. Er keuchte. Philip runzelte die Stirn. Es ziemte sich nicht für einen Subprior, völlig außer Atem irgendwo hereinzustürmen. Philip wollte gerade zu einer milden Moralpredigt über die Würde von Klosteroffizialen ansetzen, als Jonathan sagte: »Erzdiakon Peter ist bereits eingetroffen.«
    »Gut, gut«, sagte Philip beruhigend. »Ich bin ohnehin gerade fertig.« Er reichte Jonathan die Büchertasche. »Bring sie ins Dormitorium, aber hetz nicht so! Ein Kloster ist ein Ort des Friedens und der Ruhe.«
    Jonathan nahm Tasche und Tadel widerspruchslos entgegen, sagte aber: »Mir gefällt der Blick dieses Erzdiakons nicht.«
    »Ich bin sicher, er wird ein gerechter Richter sein«, erwiderte Philip. »Mehr wollen wir nicht von ihm.«
    Wieder öffnete sich die Tür. Der Erzdiakon kam herein. Er war ein großer, schlanker Mann in Philips Alter, mit schütterem grauem Haar und leicht überheblich wirkender Miene. Philip hatte den Eindruck, ihn schon irgendwo einmal gesehen zu haben.
    Er reichte ihm die Hand und sagte: »Ich bin Prior Philip.«
    »Ich kenne Euch«, gab der Erzdiakon ungehalten zurück. »Könnt Ihr Euch nicht mehr an mich erinnern?«
    Die kollerige Stimme gab den Ausschlag. Philips Zuversicht schwand dahin. Vor ihm stand sein ältester Feind. »Erzdiakon Peter«, sagte er hart. »Peter von Wareham.«
    »Er war ein Unruhestifter«, erklärte Philip Jonathan, nachdem sie den Erzdiakon im Haus des Priors allein gelassen hatten. »Er hatte an allem und jedem etwas auszusetzen: Wir arbeiteten nicht hart genug, unsere Mahlzeiten waren zu üppig, die Gottesdienste zu kurz – und so weiter. Mir warf er vor, zu nachgiebig zu sein. Ich bin sicher, er wäre selbst gerne Prior geworden – was für die Priorei natürlich eine Katastrophe gewesen wäre. Ich machte ihn damals zum Almosenpfleger. Dieses Amt brachte es mit sich, dass er die Hälfte der Zeit unterwegs war. Ich wollte ihn loswerden, ja. Es war für die Priorei und für ihn das Beste. Allerdings glaube ich, dass er mir das nie verziehen hat. Er hasst mich heute noch genauso wie vor fünfunddreißig Jahren.« Philip seufzte. »Als wir beide, du und ich, nach der großen Hungersnot St.-John-in-the-Forest besuchten, erfuhr ich, dass Peter nach Canterbury gegangen war … Und jetzt ist er hier und sitzt über mich zu Gericht.«
    Sie waren im Kreuzgang. Die Luft war mild, und die Sonne schien warm. Im Nordgang lernten fünfzig Schüler in drei verschiedenen Klassen Lesen und Schreiben. Der Wind trug das gedämpfte Gemurmel des Unterrichts herüber. Philip erinnerte sich an die Zeiten, da die ganze Schule aus fünf Knaben und einem senilen Novizenmeister bestanden hatte. Er dachte daran, wie sehr sich Kingsbridge unter seiner Führung verändert hatte: Er hatte eine Kathedrale errichtet, aus dem verarmten und verlotterten Kloster eine wohlhabende, geschäftige und einflussreiche Institution gemacht und der Stadt einen ungeahnten Aufschwung beschert. In der Kirche sang ein Chor von über hundert Mönchen die Messe. Von seinem Sitzplatz aus konnte Philip die herrlichen bunten Glasfenster im Lichtgaden der Kirche sehen. Hinter seinem Rücken, im Osten, erhob sich außerhalb des Kreuzgangs die aus Stein erbaute Bibliothek mit Hunderten von Bänden aus allen Wissensgebieten, darunter Theologie, Astronomie und Moralphilosophie. Außerhalb der Klostermauern ernährten die Güter der Priorei, die von fähigen, in aufgeklärtem Eigeninteresse handelnden Mönchen geleitet wurden, nicht nur die frommen Brüder, sondern auch Hunderte von Tagelöhnern. Und das alles sollte ihm durch eine Lüge genommen werden? Würde die prosperierende, gottesfürchtige Priorei Kingsbridge demnächst von jemand anders geführt werden – irgendeiner Marionette Walerans vielleicht wie dem kriecherischen Erzdiakon Baldwin oder Peter von Wareham, diesem selbstgerechten Narren –, nur um dann ebenso schnell, wie sie aufgeblüht war, wieder in Armut und Lasterhaftigkeit zu verfallen? Würden die großen Herden wieder zusammenschrumpfen auf eine Handvoll abgemagerter Mutterschafe, die Felder zu unrentablen Unkrautäckern verkommen, die Bücher in der Bibliothek ungelesen verstauben und die schöne Kathedrale verkommen und zerfallen? Mit Gottes Hilfe habe ich so viel erreicht, dachte Philip. Und da sollte es in seiner Absicht liegen, dass alles wieder zunichtegemacht wird? Nein, das kann ich einfach

Weitere Kostenlose Bücher