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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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dabei rausgekommen.«
    Es war zum Verrücktwerden. Ellens Aussage war entscheidend für den günstigen Ausgang des Verfahrens. Aber sie war eine starrköpfige alte Frau. Jack begann ernsthaft an seinen Überredungskünsten zu zweifeln. Er probierte es durch die Hintertür: »Du hast ja recht, wenn du die lange Reise scheust. Für jemanden in deinem Alter ist es wirklich sehr weit. Wie alt bist du eigentlich mittlerweile – achtundsechzig?«
    »Zweiundsechzig bin ich!«, schimpfte sie. »Werd mir ja nicht frech! Ich bin besser zu Fuß als du, mein Junge!«
    Das mag wohl sein, dachte Jack. Ihr Haar war schneeweiß und ihr Gesicht voller Falten, doch die seltsamen goldenen Augen sahen so viel wie eh und je. Ein Blick hatte genügt, um ihr zu sagen, wer Jonathan war. »Du brauchst mir nicht zu erklären, warum du gekommen bist«, hatte sie gesagt. »Du hast herausgefunden, wer du bist, nicht wahr? Bei Gott, du bist so groß wie dein Vater und fast so breit gebaut.« Auch ihr Wille und ihr Selbstbewusstsein waren ungebrochen.
    »Sally ist nach dir geraten«, sagte Jack.
    Das gefiel ihr. »Wirklich? In welcher Hinsicht?«
    »Sie ist störrisch wie ein Maulesel.«
    »Na, dann ist ja alles gut«, erwiderte Ellen spitz.
    Jetzt kann ich mich nur noch aufs Betteln verlegen, dachte Jack. »Mutter, bitte! Komm mit uns nach Kingsbridge, und stell klar, wie es damals war!«
    »Ich weiß nicht …«
    Da mischte sich Jonathan ins Gespräch. »Ich habe noch eine weitere Bitte.«
    Jack hielt den Atem an. Wenn er jetzt das Falsche sagt, ist alles verloren, dachte er. Zumal sie auf Männer der Kirche noch nie gut zu sprechen war …
    »Könnt Ihr mich zum Grab meiner Mutter führen?«
    Jack atmete leise aus. Diese Frage war in der Tat unverfänglich, ja, im Grunde hätte Jonathan gar nichts Besseres einfallen können.
    Alles Spöttische fiel von ihr ab. »Ja, natürlich kann ich das. Ich bin ziemlich sicher, dass ich es finden werde.«
    Jack war ein wenig besorgt wegen des Zeitverlusts. Die Verhandlung sollte am nächsten Morgen beginnen, und sie hatten noch einen weiten Weg vor sich. Andererseits sah er ein, dass er dem Schicksal nicht ins Handwerk pfuschen durfte.
    »Willst du sofort dorthin?«
    »Ja, bitte, wenn’s Euch möglich ist.«
    »Gut.« Sie erhob sich und warf sich einen kurzen Umhang aus Kaninchenfell um die Schultern. Das ist doch viel zu warm! , wollte Jack schon sagen, schluckte die Bemerkung aber hinunter: Alten Menschen ist immer kälter, dachte er.
    Sie verließen die Höhle, in der es nach gelagerten Äpfeln und qualmendem Holz roch, bahnten sich einen Weg durch den dichten Pflanzenwuchs vor dem Eingang und traten in den hellen Frühlingssonnenschein hinaus. Ellen marschierte unverzüglich drauflos. Jack und Jonathan banden ihre Pferde los und folgten ihr. Da das Gelände zu dicht bewachsen war, konnten sie nicht reiten, sondern waren gezwungen, die Tiere am Zügel zu führen. Jack fiel auf, dass seine Mutter langsamer ging als früher. Sie war doch nicht mehr so gut zu Fuß, wie sie vorgab.
    Allein hätte er die Stelle nicht mehr gefunden. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sich in diesem Wald so gut auskannte wie jetzt in Kingsbridge. Inzwischen sah eine Lichtung für ihn wie die andere aus. Seine Mutter folgte im dichten Unterholz ausgetretenen Tierpfaden. Gewisse Dinge, an denen sie vorbeikamen, riefen Kindheitserinnerungen in Jack wach: Da war die uralte Eiche, auf der er einmal vor einem wilden Eber Zuflucht gesucht hatte. Oder das »Kaninchenrevier«, das für so manch eine gute Mahlzeit gesorgt hatte. Auch an einen bestimmten Forellenbach konnte er sich erinnern. Manchmal wusste er genau, wo er war, dann kamen wieder Teile des Waldes, in denen er sich überhaupt nicht auskannte. Merkwürdig, dachte er, einmal war ich hier zu Hause – und jetzt kann ich mit all diesen Sümpfen und Dickichten genauso wenig anfangen wie ein Bauer mit einem Gewölbe- oder Simsstein … Ob ich damals schon irgendwelche Vorstellungen hatte, was einmal aus mir werden würde, fragte er sich. Vermutlich schon – nur mit der Wirklichkeit hatte das gewiss nichts zu tun.
    So legten sie Meile um Meile zurück. Es war ein warmer Frühlingstag, sodass Jack nach einer Weile ins Schwitzen geriet. Seine Mutter behielt das Kaninchenfell an. Am Nachmittag machten sie auf einer schattigen Lichtung halt. Ellen atmete schwer, und ihr Gesicht war fahl. Es ist jetzt wirklich an der Zeit, dass sie zu mir und Aliena zieht, dachte Jack. Sie

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