Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
nicht glauben …
»Wie dem auch sei«, sagte Jonathan. »Erzdiakon Peter kann Euch nicht schuldig sprechen, das ist einfach undenkbar.«
»Er wird’s aber tun«, erwiderte Philip schweren Herzens.
»Auf Ehr’ und Gewissen – wie kann er das?«
»Ich glaube, er hat mir ein ganzes Leben lang gegrollt. Jetzt bekommt er die Möglichkeit zu beweisen, dass all die Zeit in Wirklichkeit ich der Sünder war und er der Ehrenmann. Waleran hat das irgendwie herausgefunden und dann dafür gesorgt, dass Peter bei dieser Verhandlung das Richteramt ausübt.«
»Aber es gibt doch keine Beweise!«
»Er braucht keine Beweise. Er wird sich die Anklage- und die Verteidigungsrede anhören. Dann wird er Gott um Beistand bitten und sein Urteil verkünden.«
»Gott mag ihm den richtigen Weg weisen.«
»Peter wird nicht auf ihn hören. Zuhören war nie seine Stärke.«
»Was wird geschehen?«
»Man wird mich absetzen«, sagte Philip unverblümt. »Vielleicht wird mir gestattet, als einfacher Mönch im Kloster zu bleiben und Buße für meine Sünden zu tun. Wahrscheinlicher ist freilich, dass man mich aus dem Orden entlässt, um jegliche weitere Einflussnahme meinerseits zu unterbinden.«
»Und dann?«
»Dann kommt es natürlich zur Neuwahl. Unglücklicherweise spielt dabei die hohe Politik mit hinein. König Heinrich und der Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, sind miteinander verfeindet. Erzbischof Thomas und die Hälfte seiner Erzdiakone sitzen in Frankreich im Exil. Die anderen sind in England geblieben und haben sich auf die Seite des Königs geschlagen. Zu ihnen gehört offensichtlich auch Peter. Auch Bischof Waleran steht auf des Königs Seite. Sein Kandidat für das Amt des Priors wird demnach sowohl vom König als auch von den Erzdiakonen von Canterbury unterstützt werden. Dieser machtvollen Allianz haben unsere Mönche kaum etwas entgegenzusetzen.«
»Auf wen wird die Wahl fallen?«
»Waleran hat da gewiss schon seine Vorstellungen, darauf kannst du dich verlassen. Vielleicht heißt sein Kandidat Erzdiakon Baldwin, vielleicht sogar Peter von Wareham.«
»Wir müssen das verhindern!«, rief Jonathan.
Philip nickte. »Aber alles spricht gegen uns. Die hohe Politik können wir nicht ändern. Die einzige Möglichkeit …«
»Ja …?«, fuhr Jonathan ungeduldig dazwischen.
Philip sah keinen Sinn darin, in einer aussichtslosen Lage mit Ideen zu spielen, die aus Verzweiflung geboren waren. Sie würden bei Jonathan lediglich falsche Hoffnungen erwecken; die Enttäuschung wäre nachher um so bitterer. »Nichts«, sagte er.
»Was wolltet Ihr sagen, Vater?«
Philip wog seine Worte genau und sagte dann vorsichtig: »Wäre es möglich, meine Unschuld so zu beweisen, dass auch nicht der Schatten eines Verdachts mehr auf mir lastet – ja, dann wäre Peter wohl kaum imstande, mich schuldig zu sprechen …«
»Aber was zählt als Beweis?«
»Du sagst es. Man kann ein Negativum nicht beweisen. Wir müssten deinen richtigen Vater finden.«
»Ja! Das ist es!«, rief Jonathan aus. »Das tun wir!« Er war sofort Feuer und Flamme.
»Beruhige dich!«, sagte Philip. »Ich habe das damals ja schon versucht. Das ist nach all den Jahren bestimmt nicht leichter geworden.«
Jonathan ließ sich nicht entmutigen. »Gab es denn keinerlei Hinweise auf meine mögliche Herkunft?«
»Nein, nichts, fürchte ich«, erwiderte Philip. Es betrübte ihn, dass er nun doch unerfüllbare Hoffnungen in Jonathan geweckt hatte. Obwohl sich der junge Mann an seine Eltern nicht erinnern konnte, hatte ihn die Tatsache, dass er von ihnen ausgesetzt worden war, immer bedrückt. Jetzt bildete er sich ein, das Rätsel seiner Herkunft lösen und vielleicht doch noch einen Beweis für ihre Liebe und Zuneigung finden zu können. Das musste zwangsläufig zu einer herben Enttäuschung führen.
»Habt Ihr die Leute in der Umgebung befragt?«, wollte Jonathan wissen.
»Da war niemand in der Umgebung. Die Zelle lag damals mutterseelenallein in einem riesigen Waldgebiet. Deine Eltern kamen wahrscheinlich von weither, vielleicht aus Winchester. Ich habe all diese Überlegungen damals auch schon angestellt.«
Jonathan gab sich noch nicht geschlagen. »Sind zu jenem Zeitpunkt irgendwelche Reisenden durch die Gegend gekommen?«
»Nein.« Philip runzelte die Stirn. Stimmte das? War da nicht …? An jenem Tag, an dem das Kind gefunden wurde, brach ich auf zum bischöflichen Palast, dachte er. Und auf dem Weg dorthin unterhielt ich mich mit jemandem …
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