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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Plötzlich fiel es ihm ein. »Doch, in der Tat … Tom Builder und seine Familie zogen damals durch unser Gebiet.«
    »Das habt Ihr mir nie erzählt«, sagte Jonathan verblüfft.
    »Es schien mir nie von Bedeutung, und ich weiß auch nicht, wie es uns heute weiterhelfen könnte. Ich traf sie ein oder zwei Tage später. Ich fragte sie, ob ihnen jemand begegnet wäre, und erzählte ihnen von dem Findelkind. Sie sagten, nein, sie hätten niemanden gesehen, keine schwangere Frau und auch sonst niemanden, der etwas mit der Kindesaussetzung zu tun gehabt haben könnte.«
    Jonathan war sichtlich enttäuscht. Ihm steht eine doppelte Enttäuschung bevor, wenn wir so weitermachen, dachte Philip beklommen: Weder wird er etwas über seine Eltern erfahren, noch wird er den Beweis für meine Unschuld erbringen … Aber Jonathan war inzwischen kaum noch aufzuhalten. »Was haben sie da im Wald eigentlich getrieben?«, fragte er.
    »Tom war unterwegs zum Bischofspalast. Er suchte Arbeit.«
    »Ich will noch mal mit denen reden, die damals dabei waren.«
    »Nun ja – Tom und Alfred sind mittlerweile tot. Ellen lebt im Wald, und Gott allein weiß, wann sie wieder mal auftaucht. Aber du kannst dich ja mal mit Martha und Jack unterhalten.«
    »Den Versuch ist es mir wert.«
    Vielleicht hat Jonathan recht, dachte Philip. Er hat noch die Kraft der Jugend … Er selbst war eher mutlos und pessimistisch. »Na, denn zu!«, sagte er. »Ich werde langsam alt und müde, sonst wäre ich selber auf die Idee gekommen. Sprich mal mit Jack. Wir klammern uns an einen Strohhalm – aber er ist unsere einzige Hoffnung.«
    Der Fensterentwurf war in Farbe und voller Größe auf einen riesigen Holztisch gezeichnet, den man, um ein Zerlaufen der Farben zu vermeiden, mit Bier gewaschen hatte. Dargestellt war der Baum von Jesse, ein Stammbaum Christi in Bildern. Sally nahm eine kleine, rubinrot gefärbte Glasscheibe zur Hand und legte sie auf den Körper eines der Könige Israels. Um welchen König genau es sich handelte, vermochte Jack nicht zu sagen: Er hatte sich den verdrehten Symbolismus religiöser Bilder nie merken können. Sally tauchte einen feinen Pinsel in eine Schale, in der sich mit Wasser angerührter Kalk befand, und zeichnete damit die Silhouette der Figur nach: Schultern, Arme und den Rock des Gewands.
    Im Feuer auf dem Boden neben ihrem Tisch lag ein Eisenstab mit einem Holzgriff. Sie nahm den Stab heraus und zog mit ihm ebenso flink wie geschickt den vorgezeichneten Umriss nach. Das Glas brach genau entlang der Linie. Ihr Lehrjunge nahm es auf und begann die Ränder mit einer eisernen Feile zu glätten.
    Jack sah seiner Tochter gerne bei der Arbeit zu. Sie arbeitete schnell und genau, mit sparsam bemessenem Bewegungsaufwand. Schon als Kind hatte sie sich für die Arbeit der Pariser Glaser begeistert, die Jack nach Kingsbridge geholt hatte. Das will ich auch machen, wenn ich groß bin, hatte sie immer wieder gesagt – und sich schließlich auch daran gehalten. Besucher, die zum ersten Mal nach Kingsbridge kommen, so gestand sich Jack manchmal etwas wehmütig ein, sind von Sallys Glasmalerei oft stärker beeindruckt als von meiner Architektur.
    Der Lehrbub gab Sally die Scheibe mit den geglätteten Rändern zurück, und sie begann, die Falten der königlichen Robe zu malen. Die Farbe bestand aus Eisenerz und Urin und war zur besseren Haftung mit Gummiarabikum angereichert. Unter Sallys Hand schien sich das flache Glas urplötzlich in weichen, locker um die Gestalt drapierten Stoff zu verwandeln. Ihr künstlerisches Geschick war beeindruckend. Rasch war sie fertig. Sie legte das frisch bemalte Glas auf eine Eisenpfanne, auf der bereits einige andere Scheiben lagen und deren Boden mit Kalk bedeckt war. Die volle Pfanne würde später in den Ofen geschoben werden, die Hitze die Farben dann aufs Glas brennen.
    Bevor sie die nächste Scheibe zur Hand nahm, blickte Sally kurz auf und schenkte ihrem Vater ein bezauberndes Lächeln.
    Jack entfernte sich. Er hätte ihr den ganzen Tag zuschauen können, doch gab es auch für ihn noch einiges zu erledigen. Er war – das meinte Aliena zumindest – in seine Tochter ganz vernarrt. Wenn er sie ansah, überkam ihn immer wieder eine Art Staunen darüber, dass er für die Existenz dieser klugen, reifen und selbstständigen Frau verantwortlich war. Er war ungemein stolz darauf, dass sie eine so hervorragende Handwerkerin war.
    Merkwürdig: Jack hatte immer versucht, aus Tommy einen Baumeister zu

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