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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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nach Kingsbridge kamen, warst du bereits da. Ich bin natürlich immer davon ausgegangen, dass man dich hier in der Umgebung gefunden hat.« Er ließ sich auf einem Haufen Bauschutt nieder. Die Enthüllung hatte ihn so erschüttert, dass er sich unbedingt setzen musste.
    »Also – wie war’s?«, fragte Jonathan ungeduldig. »Hast du jemanden gesehen?«
    »O ja …«, erwiderte Jack. »Aber ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, Jonathan …«
    Jonathan erblasste. »Du weißt irgendetwas, nicht wahr? Was hast du gesehen?«
    »Dich, Jonathan. Ich habe dich gesehen.«
    »Was …? Wie …?« Jonathans Mund stand offen.
    »Es war früh am Morgen. Ich war unterwegs, Enten jagen. Da hörte ich auf einmal Geschrei. Ich ging dem Geräusch nach und fand ein neugeborenes Kind. Es war in einen zerschnittenen Mantel gewickelt und lag neben der Glut eines ersterbenden Feuers.«
    Jonathan starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. »Was sonst?«
    Jack nickte langsam. »Das Kind lag auf einem frischen Grab.«
    Jonathan schluckte. »Meine Mutter?«
    Jack nickte.
    Jonathan begann zu weinen, hörte aber nicht auf zu fragen. »Was hast du da getan?«
    »Ich habe meine Mutter geholt. Doch als wir zu der Stelle zurückkehrten, sahen wir einen Priester auf einem Zelter. Er trug das Kind auf den Armen.«
    »Francis«, sagte Jonathan mit erstickter Stimme.
    »Was?«
    Jonathan schluckte heftig. »Ich wurde von Francis gefunden, dem Bruder von Prior Philip.«
    »Was trieb der da draußen im Wald?«
    »Er war auf dem Weg nach St.-John-in-the-Forest, wo er seinen Bruder besuchen wollte. Deshalb brachte er mich dorthin.«
    »Mein Gott!« Jack starrte den hochgewachsenen Mönch an, dem die Tränen über die Wangen liefen. Du weißt ja noch gar nicht alles, dachte er.
    »Hast du jemanden gesehen, der vielleicht mein Vater hätte sein können?«
    »Ja«, sagte Jack mit feierlichem Ernst. »Ich weiß, wer dein Vater war.«
    »Dann sag es mir«, flüsterte Jonathan.
    »Tom Builder.«
    »Tom Builder?« Jonathan setzte sich mit einem schweren Seufzer auf den Boden. » Tom Builder war mein Vater? «
    »Ja.« Jack schüttelte fassungslos den Kopf. »Jetzt, da ich’s weiß, erinnerst du mich auch äußerlich an ihn. Ihr beide seid die größten Menschen, denen ich je begegnet bin.«
    »Er war immer sehr nett zu mir, als ich klein war«, sagte Jonathan mit belegter Stimme. »Hat oft mit mir gespielt und mochte mich sehr gerne. Ich sah ihn genauso oft wie Prior Philip.« Jonathan ließ jetzt seinen Tränen freien Lauf. »Und er war mein Vater! Mein Vater!« Er blickte auf zu Jack. »Warum hat er mich ausgesetzt?«
    »Sie dachten, du müsstest sowieso sterben. Sie hatten keine Milch für dich und waren selber am Verhungern, ich weiß es noch genau. Meilenweit im Umkreis war keine menschliche Siedlung – das Kloster kannten sie nicht. Das Einzige, was sie noch zu essen hatten, waren Rüben – Rüben aber hätten dich umgebracht.«
    »Also haben sie mich doch geliebt, irgendwie …«
    Jack hatte die Szene vor Augen, als läge sie erst einen Tag zurück: das erlöschende Feuer, die frische Erde auf dem Grab, das winzige, zappelnde rosa Kindchen in dem alten grauen Mantel. Und dieses kleine Wesen war jetzt herangewachsen zu dem großen Mann, der vor ihm auf dem Boden saß und hemmungslos weinte. »O ja, sie haben dich geliebt.«
    »Warum hat nie jemand darüber gesprochen?«
    »Tom hat sich natürlich geschämt«, sagte Jack. »Meine Mutter muss Bescheid gewusst haben, und wir Kinder haben es zumindest geahnt, glaube ich. Wie dem auch sei, es war ein Thema, über das man einfach nicht sprechen konnte. Und wir haben natürlich nie dieses Kind mit dir in Verbindung gebracht.«
    »Tom doch gewiss, oder?«
    »Ja, der schon.«
    »Ich frage mich, warum er mich nie zu sich genommen hat.«
    »Meine Mutter verließ ihn ziemlich bald nach unserer Ankunft in Kingsbridge«, sagte Jack und lächelte wehmütig. »Sie war recht anspruchsvoll, wie Sally. Für Tom bedeutete das, dass er für dich eine Kinderfrau hätte finden müssen. So hielt er es wahrscheinlich für das Beste, dich in der Obhut des Klosters zu lassen. Er sah ja, dass du dort gut aufgehoben warst.«
    Jonathan nickte. »Der gute alte Johnny Eightpence! Gott hab ihn selig!«
    »Gut möglich, dass Tom auf diese Weise mehr Zeit für dich fand. Du bist ja überall im Klostergelände herumgesprungen, tagaus, tagein. Und er arbeitete dort. Hätte er dich der Priorei weggenommen und bei einer

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