Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Stimme. Philip sah auf und erblickte Erzbischof Thomas von Canterbury.
Philip spürte sofort, dass eine bedeutende Persönlichkeit vor ihm stand. Thomas war ein hochgewachsener, schlanker und ausgesprochen gut aussehender Mann mit breiter Stirn, klaren Augen, heller Haut und dunklem Haar. Er war ungefähr zehn Jahre jünger als Philip, also an die fünfzig oder knapp darüber, und hatte sich trotz des Unglücks, das ihm widerfahren war, eine muntere, fröhliche Miene bewahrt. Er war, wie Philip sogleich auffiel, ein sehr attraktiver Mann, und darin lag vermutlich auch eine Erklärung für seine bemerkenswerte Karriere. Thomas stammte aus einfachen Verhältnissen.
Philip kniete nieder und küsste die Hand des Erzbischofs.
»Welch eine Freude, endlich Eure Bekanntschaft machen zu dürfen!«, sagte Thomas. »Immer schon habe ich Kingsbridge besuchen wollen. Ich habe so viel von Eurer Priorei und der wunderbaren neuen Kathedrale gehört!«
Philip war gleichermaßen bezaubert wie geschmeichelt. »Ich bin gekommen, weil alles, was wir in Kingsbridge erreicht haben, durch den König gefährdet wird«, sagte er.
»Ich möchte darüber sofort in Kenntnis gesetzt werden«, sagte Thomas. »Begleitet mich bitte in meine Kammer.« Er drehte sich mit einer schwungvollen Bewegung um und verließ den Raum.
Philip folgte ihm mit gemischten Gefühlen.
Thomas führte ihn in ein kleineres Zimmer, dessen Einrichtung von einem teuren, mit feinem Linnen bezogenen Bett aus Holz und Leder beherrscht wurde. In der Ecke stand allerdings eine zusammengerollte dünne Matratze. Philip erinnerte sich an Gerüchte, denen zufolge Thomas niemals von der luxuriösen Einrichtung Gebrauch machte, die seine Gastgeber ihm zur Verfügung stellten. Er musste an sein eigenes bequemes Bett in Kingsbridge denken und empfand es plötzlich als ungehörig, dass er sein Haupt auf Daunen bettete, während der Primas von England auf dem Boden schlief.
»Da wir gerade von Kathedralen sprechen«, sagte Thomas. »Wie gefiel Euch Sens?«
»Ein erstaunliches Bauwerk«, antwortete Philip. »Wer hat es errichtet?«
»William von Sens. Ich hoffe, ihn eines Tages nach Canterbury locken zu können. So setzt Euch doch. Berichtet mir von den Ereignissen in Kingsbridge.«
Philip erzählte ihm von Bischof Waleran und Erzdiakon Peter. Thomas folgte seinen Ausführungen mit großem Interesse und stellte eine Reihe kluger Fragen. Er war nicht nur charmant, sondern auch hochintelligent – anders wäre es ihm auch nie gelungen, in eine Stellung aufzusteigen, von der aus er einem der stärksten Könige, die England je hatte, Paroli bieten konnte. Unter der erzbischöflichen Robe, so hieß es, trug Thomas ein härenes Gewand – und hinter dem verbindlichen Äußeren verbarg sich ein eiserner Wille.
Als Philip seine Schilderung beendet hatte, sah der Erzbischof sehr ernst aus. »Dies darf nicht geschehen«, sagte er.
»Wohl wahr«, bestätigte Philip. Thomas’ klares Wort machte ihm Mut. »Könnt Ihr es verhindern?«
»Nur, wenn ich wieder in mein Amt in Canterbury eingesetzt werde.«
Das war nicht die Antwort, die Philip sich erhofft hatte. »Könnt Ihr denn nicht an den Papst schreiben, von hier aus, meine ich?«
»Doch, das werde ich«, sagte Thomas. »Und zwar noch heute. Der Papst wird Peter nicht als Bischof von Kingsbridge anerkennen, das verspreche ich Euch. Aber wir können nicht verhindern, dass er sich im Bischofspalast einquartiert. Außerdem können wir keinen anderen Kandidaten ernennen.«
Philip war erschüttert von der Entschiedenheit, mit der Thomas ihm seine Illusionen raubte. Die ganze Reise über hatte er von der Hoffnung gezehrt, Thomas könne ihm einen Plan nennen, mit dem sich Walerans Strategie durchkreuzen ließe. Nun stellte sich heraus, dass selbst der brillante Thomas Becket nicht weiterwusste. Der einzige Hoffnungsschimmer blieb seine Wiedereinsetzung in Canterbury, weil er dann natürlich gegen die königlichen Bischofskandidaten sein Veto einlegen könnte. »Besteht irgendeine Hoffnung auf Eure baldige Rückkehr?«, fragte Philip niedergeschlagen.
»Bei einiger Zuversicht, ja«, erwiderte Thomas. »Der Papst hat einen Friedensvertrag ausgearbeitet und drängt sowohl mich als auch König Heinrich zur Zustimmung. Für mich sind die Bedingungen des Vertrags akzeptabel, denn meine Forderungen werden weitgehend erfüllt. Auch Heinrich sagt, er könne den Vertrag akzeptieren. Ich habe allerdings darauf bestanden, dass er seine
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