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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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bringen, bevor William und seine Ritter uns einholen, dachte Philip. Hinter ihm verließen der Erzbischof und seine Entourage das Lager. »Los, in die Kirche!«, rief Philip. »Schnell!«
    »Nein, Philip, nicht schnell«, widersprach Thomas. »Wir werden meine Kathedrale mit der gebotenen Würde betreten.«
    Am liebsten hätte Philip laut aufgeschrien. Er bezwang sich jedoch und sagte: »Selbstverständlich, ehrwürdiger Erzbischof.« Aus dem Gang am anderen Ende des Lagers hörte man das unheilvolle Geräusch rasch näher kommender Schritte. Die Ritter waren ins Schlafgemach eingedrungen und hatten den Fluchtweg entdeckt. Philip wusste, dass der beste Schutz des Erzbischofs dessen erzbischöfliche Würde war – was jedoch nicht ausschloss, dass er sich trotzdem besser aus der Gefahrenzone begab.
    »Wo ist das Kreuz des Erzbischofs?«, fragte Thomas. »Ohne Kreuz kann ich die Kirche nicht betreten.«
    Philip stöhnte verzweifelt auf.
    Da meldete sich einer der Priester aus seiner Begleitung zu Wort: »Ich habe daran gedacht. Hier ist Euer Kreuz.«
    »Tragt es vor mir her, bitte – so wie der Brauch es will.«
    Der Priester hielt das Kreuz hoch und schritt mit mühsam unterdrückter Eile auf die Kirchentür zu.
    Thomas folgte ihm.
    Wie der Brauch es verlangte, betrat die Entourge vor dem Erzbischof die Kathedrale. Philip war der Letzte und hielt die Tür für Thomas auf. Kaum hatten sie die Kirche betreten, da stürzten auch schon zwei Ritter aus dem Vorratslager in den Kreuzgang und rannten auf die Kirche zu.
    Philip schloss die Querhaustür. In der Mauer daneben steckte eine Stange zur Verriegelung. Philip zog sie heraus und legte sie vor.
    Als Thomas das Geräusch hörte, blieb er unvermittelt stehen und drehte sich um.
    »Nein, Philip«, sagte er.
    Philip erschrak. »Aber ehrwürdiger Erzbischof …«
    »Dies ist eine Kirche, keine Burg. Entriegelt die Tür.«
    Die Tür erbebte unter den Schlägen und Tritten der Ritter. »Ich fürchte, sie wollen Euch töten«, sagte Philip.
    »Wahrscheinlich wird es ihnen sogar gelingen«, sagte Thomas, »ob Ihr nun die Tür verriegelt oder nicht. Wisst Ihr, wie viele Eingänge diese Kirche hat? So, und nun öffnet!«
    Die Ritter hieben inzwischen mit Äxten auf die Tür ein. »Ihr könntet Euch verstecken«, schlug Philip in seiner Verzweiflung vor. »Es gibt Dutzende von Schlupfwinkeln – da drüben ist der Eingang zur Krypta. Auch wird es zusehends dunkler.«
    »Verstecken, Philip? Ich soll mich in meiner eigenen Kirche verstecken? Würdet Ihr das tun?«
    Philip starrte Thomas wortlos an und sagte nach einer längeren Pause: »Nein.«
    »So öffnet jetzt die Tür.«
    Schweren Herzens entfernte Philip die Stange.
    Die Ritter platzten herein. Es waren ihrer fünf. Sie trugen Helme mit Visieren, sodass ihre Gesichter nicht zu erkennen waren. Bewaffnet waren sie mit Schwertern und Äxten. Sie sahen aus wie Abgesandte der Hölle.
    Philip wusste, dass Furcht ihm nicht anstand, doch der Anblick der scharfen Klingen ließ ihn unwillkürlich erzittern.
    Einer rief: »Wo ist Thomas Becket, Verräter des Königs und des Königreichs?«
    Es war mittlerweile schon recht dunkel. Nur matter Kerzenschimmer erhellte das Innere der großen Kirche. Alle Mönche trugen schwarzen Habit, und das Blickfeld der Ritter war durch die vorgeschobenen Visiere eingeengt. Hoffnung keimte in Philip auf: Vielleicht finden sie Thomas in der Dunkelheit nicht, dachte er. Doch die Hoffnung erwies sich schon im nächsten Augenblick als trügerisch. Erzbischof Thomas Becket schritt den Rittern entgegen und sprach: »Hier bin ich – kein Verräter, sondern ein Priester Gottes. Was wollt Ihr?«
    Als Philip sah, wie der Erzbischof den fünf Rittern mit ihren gezückten Schwertern entgegentrat, wusste er auf einmal mit tödlicher Gewissheit, dass Thomas Becket an dieser Stelle und an diesem Tag sein Leben verlieren würde.
    Den Männern aus Thomas’ Entourage musste es ähnlich ergangen sein, denn die meisten von ihnen suchten plötzlich das Weite. Einige verschwanden im düsteren Chor, andere mischten sich im Schiff unter die Gläubigen, die auf den Beginn des Gottesdienstes warteten. Einer öffnete eine kleine Tür und rannte die dahinter befindliche Wendeltreppe hinauf. Philip fand das Verhalten der Priester und Mönche empörend. »Beten sollt ihr«, rief er ihnen nach, »nicht davonlaufen!«
    Auch ihm selbst drohte der Tod, wenn er nicht davonlief; er war sich dessen bewusst. Aber er konnte sich nicht

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