Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
herumzufummeln. Da bemerkte er einen Jungen, der ihn mit offenem Mund anstarrte, und rief ihm zu: »He, du da! Wie heißt du?«
Der Junge sah sich nach der Küche um. Sollte er fliehen oder Williams Frage beantworten? Nach einer kurzen Pause sagte er: »Robert, Herr. Man nennt mich Robert Pipe.«
»Komm her, Robert Pipe, hilf mir mal schnell!«
Der Junge zögerte erneut.
William verlor die Geduld. »Komm sofort her, oder ich hack dir mit meinem Schwert die Hand ab, das schwör ich dir beim Blute des Herrn!«
Widerstrebend trat der Junge näher. William hieß ihn den Kettenpanzer hochhalten, setzte seinen Helm auf und befestigte ihn. Diesmal klappte es. Robert Pipe machte, dass er davonkam. Davon wird er seinen Enkelkindern noch erzählen, dachte William bei sich.
Der Helm besaß ein Visier, das über das Gesicht gezogen und mit einem Riemen befestigt werden konnte. Die anderen hatten die Visiere bereits heruntergeklappt und waren nicht mehr erkennbar. William wartete noch einen Augenblick. Alle hielten sie in der einen Hand ein Schwert, in der anderen eine Axt.
»Fertig?«, fragte William.
Sie nickten.
Von nun an erübrigten sich weitere Gespräche. Keine weiteren Befehle waren nötig, keine weiteren Entscheidungen zu treffen. Zurück in den Palast und den Erzbischof töten – das war jetzt ihre Devise.
William steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Dann schloss er das Visier seines Helms und zurrte es fest.
Ein Bewaffneter kam aus dem Torhaus gerannt und öffnete hastig das Haupttor.
Die Ritter, die William im Haus auf der gegenüberliegenden Seite hatte warten lassen, stürmten nun auf den Hof und riefen, getreu der Instruktion, die man ihnen erteilt hatte: »Soldaten des Königs! Soldaten des Königs!«
William rannte zum Palast zurück.
Ritter Richard und Haushofmeister William Fitzneal öffneten ihm die Tür des Portals, doch als er eintrat, nutzten zwei Diener des Erzbischofs den Umstand, dass die beiden einen Augenblick lang abgelenkt waren, und schmetterten die Tür zu, die das Portal mit dem großen Saal verband.
William warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, doch es war zu spät – sie war von innen mit einer Stange verriegelt worden. Er fluchte. Ein Rückschlag – und schon so bald! Die Ritter begannen, mit ihren Äxten auf die Tür einzuhacken, kamen aber kaum voran – schließlich war die schwere Tür eigens zu dem Zweck gezimmert, Angreifer zurückzuhalten.
William spürte, dass ihm die Kontrolle über das Unternehmen entglitt. Er kämpfte eine beginnende Panik nieder, verließ den Palast und rannte um das Haus herum. Vielleicht gab es irgendwo noch eine zweite Tür. Reginald begleitete ihn.
Auf der Südseite des Gebäudes grenzte eine Obstbaumwiese an. Und dort befand sich tatsächlich eine Außentreppe, die zum ersten Stock hinaufführte. William grunzte vor Freude. Es sah ganz nach einem separaten Eingang zu den erzbischöflichen Gemächern aus. Das Gefühl der Panik ließ nach.
Die Treppe war auf halber Höhe beschädigt. Ein paar herumliegende Werkzeuge und eine Leiter deuteten darauf hin, dass sie gerade repariert wurde. Reginald lehnte die Leiter an die Längsseite der Treppe und kletterte hinauf. Oben erreichte er einen kleinen Erker und rüttelte an der Tür. Sie war verschlossen. Gleich daneben befand sich ein verschlossenes Fenster. Mit einem einzigen Axthieb zerschmetterte Reginald die Läden, langte mit dem Arm hindurch, tastete sich zur Klinke vor und öffnete die Tür.
Nun stieg auch William die Leiter hoch.
Die Furcht, die ihn befallen hatte, als er William Hamleighs ansichtig geworden war, ließ Philip nicht mehr los. Die Priester und Mönche in Thomas’ Begleitung argwöhnten zunächst nichts Böses, doch als sie hörten, wie unten gegen die Saaltür gehämmert wurde, bekamen auch sie es mit der Angst zu tun. Einige schlugen vor, in der Kathedrale Zuflucht zu suchen.
»Zuflucht suchen?«, fuhr Thomas sie voller Verachtung an. »Wovor? Vor diesen Rittern etwa? Ein Erzbischof kann doch vor so ein paar Hitzköpfen nicht einfach davonlaufen!«
Bis zu einem gewissen Grade hat er recht, dachte Philip. Wollte er sich von einer Handvoll Ritter einschüchtern lassen, so wäre sein Erzbischofstitel bedeutungslos. Ein Gottesmann, der sich beruhigt dem Glauben hingeben kann, dass ihm seine Sünden vergeben werden, sieht im Tod den glücklichen Übergang in eine schönere Welt und fürchtet sich nicht vor dem Schwert.
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