Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
Dass sein Enkelsohn dereinst den Thron besteigen wird, war des verblichenen Königs sehnlichster Wunsch, doch gegenwärtig zählt er noch keine drei Jahre! Der König hat daher die Barone Mathilde Treue schwören lassen.«
Philip begriff nicht, worum es ging. »Wenn der König Mathilde als Erbin eingesetzt hat und die Barone ihr bereits den Treueid geschworen haben … dann ist doch alles in Ordnung, oder?«
»So einfach ist das Leben bei Hofe noch nie gewesen«, antwortete Francis. »Mathilde ist mit Gottfried von Anjou verheiratet, und das Anjou und die Normandie sind seit Generationen verfeindet. Unsere normannischen Herren hassen die Angeviner. Offen gestanden – die Einschätzung unseres alten Königs, die anglonormannischen Barone könnten einem aus dem Hause Anjou widerspruchslos England und die Normandie überlassen, war sehr blauäugig – Treueid hin oder her.«
Die ebenso kundige wie respektlose Rede seines Bruders über die bedeutendsten Persönlichkeiten des Landes brachte Philip ein wenig durcheinander. »Woher weißt du das nur alles?«, fragte er.
»Die Barone trafen sich in Le Neubourg, um über ihr weiteres Vorgehen zu entscheiden. Es versteht sich von selbst, dass auch mein eigener Herr, Graf Robert, an dieser Besprechung teilnahm. Ich begleitete ihn und diente ihm als Sekretär für seine Korrespondenz.«
Philip warf einen Seitenblick auf seinen Bruder. Was für ein unterschiedliches Leben wir doch führen, dachte er. Dann kam ihm ein neuer Gedanke. »Graf Robert ist der älteste Sohn des verstorbenen Königs, nicht wahr?«
»Ja, und er ist von großem Ehrgeiz besessen. Aber er hält sich an die weitverbreitete Meinung, dass illegitime Sprosse des Königs sich ihr Reich erstreiten müssen. Erben können sie es nicht.«
»Wer kommt sonst noch in Frage?«
»König Heinrich hatte drei Neffen, die Söhne seiner Schwester. Der älteste ist Theobald von Blois, der zweite Stephan, der bei seinem Onkel in hoher Gunst stand und von ihm mit ausgedehnten Ländereien hier in England bedacht wurde, und dann ist da noch Henry, der Benjamin der Familie, der dir als Bischof von Winchester vertraut ist. Die Barone sprachen sich für den Ältesten aus, also für Theobald, und zwar unter Berufung auf eine Tradition, die du wahrscheinlich vollauf billigst …« Francis sah Philip an und grinste.
Philip lächelte zurück. »In der Tat«, sagte er und fügte hinzu: »So heißt unser neuer König also Theobald?«
Francis schüttelte den Kopf. »Das bildete er sich zunächst auch ein – nur haben wir jüngeren Söhne nun einmal die Art, uns in den Vordergrund zu drängen.« Die beiden Brüder erreichten den Rand der Lichtung und machten kehrt. »Während Theobald gnädigst die Huldigung der Barone entgegennahm, überquerte Stephan den Kanal, begab sich schnurstracks nach Winchester und besetzte mit Hilfe von Bischof Henry, dem Nesthäkchen der Familie, die dortige Burg. Vor allem aber bemächtigte er sich dort des königlichen Schatzes.«
Philip wollte Francis schon unterbrechen und sagen: ›So ist also Stephan unser neuer Herrscher!‹, doch diesmal hütete er seine Zunge: Schon bei Mathilde und Theobald hatte er sich zu voreiligen Schlüssen hinreißen lassen.
Francis fuhr fort: »Zur endgültigen Absicherung seines Sieges fehlte Stephan nur noch der Segen der Kirche, denn um wirklich König zu sein, muss er in Westminster vom Erzbischof gekrönt werden.«
»Nun, das dürfte ihm nicht schwergefallen sein«, sagte Philip, »immerhin ist sein Bruder Henry einer der führenden Priester im Lande – als Bischof von Winchester und Abt von Glastonbury ist er fast so mächtig wie der Erzbischof von Canterbury. Wobei noch hinzukommt, dass er ein wahrer Krösus ist. Und warum sollte Bischof Henry Stephan seine Unterstützung versagen? Er hat ihm schließlich schon bei der Besetzung Winchesters geholfen.«
Francis nickte. »Ich muss gestehen, dass Bischof Henry während der Nachfolgekrise geradezu hervorragend taktiert hat. Allerdings hat er Stephan gewiss nicht aus brüderlicher Liebe unterstützt.«
»Warum denn?«
»Eben erst habe ich dich darin erinnert, wie der verstorbene König mit der Kirche und ihren Repräsentanten umzuspringen pflegte. Bischof Henry möchte nun sicherstellen, dass der nächste König, wer immer es auch sein mag, die Kirche besser behandelt. Als Bedingung für seine Unterstützung nahm er seinem Bruder den feierlichen Schwur ab, dass die Rechte und Privilegien der Kirche unter
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