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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und verkündete: »Ich bin euer neuer Prior.«
    Er las das Gebet und ließ die Mönche bis zum Ende knien. Es dauerte lange, denn Philip ließ sie alle Antworten so lange wiederholen, bis sie in absoluter Einstimmigkeit ertönten. Danach führte er sie schweigend zum Refektorium. Er ließ das gebratene Schwein zurück in die Küche bringen und bestellte statt dessen Brot und Leichtbier. Ein Mönch erhielt den Auftrag, während des Abendessens laut vorzulesen. Gleich nach Beendigung der Mahlzeit führte Philip die Mönche, ohne ein Wort zu verlieren, ins Dormitorium.
    Er befahl, die Bettstatt des Priors, die in einem eigenen Gebäude untergebracht war, herbeizuschaffen, denn er wollte im gleichen Raum wie seine Mönche schlafen. Auf diese Weise ließ sich der Sünde der Unkeuschheit am einfachsten und wirksamsten vorbeugen.
    In der ersten Nacht tat er kein Auge zu. Bis Mitternacht saß er neben einer brennenden Kerze und verharrte in stillem Gebet. Dann weckte er die Mönche zur Matutin, die er jedoch zum Zeichen, dass er nicht gnadenlos war, recht schnell abwickelte. Danach gingen die Mönche wieder zu Bett, doch Philip schlief auch jetzt noch nicht.
    Im Morgengrauen, noch ehe die Mitbrüder wieder erwachten, ging er hinaus, sah sich in der Umgebung ein wenig um und machte sich Gedanken über den kommenden Tag. Mitten auf einem Feld, das erst in jüngster Zeit gerodet worden war, fiel ihm ein riesiger Stumpf auf, der anscheinend von einer uralten Eiche stammte. Da kam ihm plötzlich eine Idee.
    Nach der Prim und dem Frühstück schickte er die Mönche mit Seilen und Äxten hinaus aufs Feld. Die Rodung des gewaltigen Baumstumpfs nahm den gesamten Vormittag in Anspruch. Eine Gruppe zog nach Kräften an den Seilen, eine andere rückte dem Wurzelwerk mit Äxten zu Leibe. Als die Arbeit schließlich vollbracht war und der Stumpf nachgab, ließ Philip Bier und Brot austeilen und genehmigte allen eine Scheibe von dem Braten, den er ihnen am Abend zuvor vorenthalten hatte.
    Damit lösten sich zwar nicht sämtliche Schwierigkeiten in Luft auf, doch zumindest wusste jetzt ein jeder, woran er war. Von Anfang an weigerte sich Philip, das Mutterkloster um Versorgungsgüter anzugehen. Lediglich Saatgut für den Anbau von Getreide und Kerzen für die Kapelle ließ er sich noch liefern. Wollten die Mönche fortan Fleisch auf dem Tisch haben, so mussten sie sich selber darum kümmern. Allein diese Erkenntnis wirkte Wunder: Die Brüder verwandelten sich in gewissenhafte Viehzüchter und kenntnisreiche Fallensteller, und hatten sie zuvor in den Gebetsstunden eine willkommene Ablenkung von der Arbeit gesehen, so waren sie nun dankbar, wenn Philip die Andachten ein wenig verkürzte, sodass ihnen mehr Zeit zur Feldarbeit blieb.
    Zwei Jahre später war das Kloster von fremder Hilfe unabhängig, und nach zwei weiteren Jahren konnte es bereits Fleisch, Wildbret und einen hochbegehrten Ziegenkäse an das Mutterkloster in Kingsbridge liefern. Die Zelle im Wald prosperierte, die Gottesdienste waren feierlich und ernst, und die Brüder waren gesund und guter Dinge.
    Philip hatte allen Anlass, zufrieden zu sein, und er wäre es vielleicht auch gewesen – hätten sich die Verhältnisse im Mutterkloster nicht rapide verschlechtert.
    Kingsbridge hätte einer der geistigen Mittelpunkte des Königreichs sein können, ein Ort voller Leben und Lebendigkeit. Wissenschaftler aus aller Herren Länder hätten die Bibliothek besuchen können und der Prior ein Ratgeber an Fürstenhöfen sein müssen. Die Reliquienschreine waren dazu angetan, Pilger aus dem ganzen Land anzulocken, und die Gastfreundschaft der Mönche hätte beim Adel in ebenso gutem Rufe stehen können wie ihre Mildtätigkeit bei den Armen … Welch anderes Bild bot indessen die Wirklichkeit! Die Kirche verfiel zusehends, die Hälfte der Gebäude stand leer, und die Priorei stand bei verschiedenen Geldverleihern tief in der Kreide. Mindestens einmal im Jahr stattete Philip dem Mutterhaus einen Besuch ab, und jedes Mal kehrte er wutentbrannt zurück: Es war nicht mit anzusehen, wie der von gläubigen Menschen zusammengetragene und von beherzten Mönchen gemehrte Wohlstand dort verschleudert wurde – wie das Erbe des rechtschaffenen Mannes im Gleichnis vom verlorenen Sohn.
    Einer der Gründe für die Misere war in der Lage der Priorei zu suchen.
    Kingsbridge war ein kleines Dorf am Ende einer Nebenstraße, die nicht weiterführte. Seit den Zeiten des ersten Königs Wilhelm – den die

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