Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth
einen den ›Eroberer‹, die anderen aber, je nach ihrem persönlichen Standpunkt, den ›Bastard‹ nannten – waren die meisten Kathedralen in die größeren Städte verlegt worden. Das Kloster Kingsbridge gehörte zu den wenigen Orten, die von dieser Entwicklung nicht betroffen waren. Philip sah darin allerdings kein unüberwindliches Problem: Seiner Überzeugung nach war ein geschäftiges Kloster mit einer Kathedrale eine Stadt für sich.
Der Hauptgrund für die Häufung von Schwierigkeiten lag in der Untätigkeit des alten Priors James. Die Hand, die das Ruder führte, war kraftlos, das Schiff ein willenloser Spielball der Gezeiten.
Und zu Philips tiefer Betrübnis ließ sich keine Wendung zum Besseren absehen – im Gegenteil: Solange Prior James lebte, würde sich der Niedergang des Klosters unaufhaltsam fortsetzen.
Sie wickelten das Kind in sauberes Linnen und legten es in einen großen Brotkorb, der auch als Wiege dienen konnte. Den kleinen Bauch voller Ziegenmilch, schlief der Knabe ein. Philip übertrug Johnny Eightpence die Verantwortung für den neuen Mitbruder, denn wiewohl Johnny nicht ganz richtig im Kopf war, verstand er sich doch bestens auf den Umgang mit kleinen, schwachen Lebewesen.
Philip war überaus neugierig zu erfahren, was Francis zu ihm geführt hatte. Im Laufe des Mittagessens spielte er mehrfach darauf an, doch Francis ging darauf nicht ein, sodass Philip nichts anderes übrigblieb, als sich weiterhin zu gedulden.
Dem Essen folgte das Studium. Es gab keine Wandelgänge hier draußen im Wald, doch war es den Mönchen gestattet, sich im Portal der Kapelle niederzulassen und zu lesen oder aber auf der Lichtung spazieren zu gehen. Auch durften sie ab und an das Küchengebäude betreten und sich nach altem Brauch am Feuer wärmen. Philip und Francis umrundeten die Lichtung Seite an Seite, wie einst im Kreuzgang ihres walisischen Heimatklosters. Endlich ergriff Francis das Wort.
»König Heinrich hat die Kirche immer wie einen untergeordneten Teil seines Reiches behandelt. Er erteilte Bischöfen Befehle, belegte die Kirche mit Steuern und Abgaben und hintertrieb die Autorität des Papstes.«
»Das ist mir bekannt«, erwiderte Philip. »Was willst du damit sagen?«
»König Heinrich ist tot.«
Philip verhielt den Schritt. Damit hatte er nicht gerechnet!
»Er starb in seiner Jagdhütte bei Lyons-la-Forêt in der Normandie«, fuhr Francis fort. »Er hatte gerade ein Gericht von Neunaugen zu sich genommen, die er so gerne mochte, obwohl sie ihm nie recht bekommen sind.«
»Und wie lange ist das her?«
»Heute ist der erste Tag des neuen Jahres – er starb vor genau einem Monat.«
Philip war aufrichtig erschrocken. Er hatte noch nie den Tod eines Königs miterlebt, denn Heinrichs Thronbesteigung lag in der Zeit vor seiner Geburt. Andererseits wusste er: Der Tod eines Königs bedeutete Unruhe, vielleicht sogar Krieg. »Und was geschieht jetzt?«, fragte er bestürzt.
Sie setzten ihren Weg fort. »Das Schlimme ist«, sagte Francis, »dass der rechtmäßige Erbe des Königs vor vielen Jahren im Meer ertrank. Du erinnerst dich?«
»Ja, ich erinnere mich.« Philip war damals zwölf Jahre alt gewesen. Der Tod des Thronfolgers war das erste Ereignis von landesweiter Bedeutung, das sich seinem Gedächtnis eingeprägt und ihn auf die Welt außerhalb der Klostermauern aufmerksam gemacht hatte. Der Königssohn war vor Cherbourg beim Untergang des ›Weißen Schiffes‹ zu Tode gekommen. Abt Peter, der nach dem Ableben des Thronfolgers den Ausbruch von Krieg und Anarchie befürchtete, hatte dem jungen Philip von den Ereignissen berichtet. Letztlich war es König Heinrich jedoch gelungen, die Zügel in der Hand zu behalten, sodass das Leben von Francis und Philip in denselben geordneten Bahnen weiterlief wie zuvor.
»Der König hat natürlich noch zahlreiche andere Kinder«, fuhr Francis fort, »insgesamt mindestens zwanzig, darunter meinen eigenen Herrn, Graf Robert von Gloucester. Aber bei ihnen handelt es sich samt und sonders um illegitime Sprosse … Außer dem verstorbenen Sohn hat König Heinrich trotz seiner gewaltigen Fruchtbarkeit nur noch ein einziges legitimes Kind hinterlassen, und zwar ein Mädchen namens Mathilde. Bastarde sind von der Thronfolge ausgeschlossen – doch eine Frau ist fast genauso schlimm.«
»Hat König Heinrich denn keinen Erben ernannt?«, fragte Philip.
»Doch, doch, er bestimmte Mathilde zur Erbin. Sie hat einen Sohn, der ebenfalls Heinrich heißt.
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