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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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und dann muss der Ankläger sich verteidigen.« Die Ergänzung ›… vor allem, wenn sich der Vorwurf als ungerechtfertigt erweist‹, stand unausgesprochen im Raum. »Habt Ihr schon mit jemand anderem darüber gesprochen?«, fuhr Waleran fort.
    Philip schüttelte den Kopf.
    »Wo wollt Ihr denn von hier aus hin?«
    »Nach Kingsbridge. Da ich meine Zelle Hals über Kopf verließ, brauchte ich eine glaubhafte Ausrede. Ich sagte also, ich wollte die Priorei besuchen – und das will ich jetzt auch tun, auf dass die Lüge nachträglich zur Wahrheit wird.«
    »Sprecht dort zu niemandem über das, was Ihr mir eben erzählt habt.«
    »Ihr habt mein Wort.« Philip wunderte sich, warum Waleran darauf so großen Wert legte. Vielleicht aus Eigeninteresse: Wenn er schon das Risiko auf sich nahm, die Verschwörung aufzudecken, dann wollte er auch die Lorbeeren einheimsen. Ehrgeizig war er zweifellos – und das kam Philips Absichten durchaus entgegen.
    »Überlasst diese Angelegenheit mir!« Waleran war auf einmal wieder sehr kurz angebunden. Der krasse Unterschied zu seinem gerade zuvor noch zur Schau getragenen Benehmen verriet Philip, dass Waleran seine Freundlichkeit an- und ablegen konnte wie seine Kleider. Der Erzdiakon fuhr fort: »Nun reitet nach Kingsbridge, aber vergesst den Vogt.«
    »Gewiss.« Philip spürte, dass er die erste Hürde genommen hatte. Ein Stein fiel ihm vom Herzen. Niemand ließ ihn ins Verlies werfen, niemand folterte ihn, um ein Geständnis zu erpressen, niemand warf ihm Verrat vor. Obendrein war er die Verantwortung los – hatte sie abgetreten an jemanden, der anscheinend ganz froh darüber war.
    Er erhob sich und ging zum nächsten Fenster. Es war jetzt Nachmittag, würde aber noch eine ganze Weile hell bleiben. Es drängte ihn fortzukommen, nur fort, und das Geheimnis, das ihn belastete, hätte er am liebsten dagelassen … »Wenn ich jetzt losreite, schaffe ich bis heute Abend noch acht bis zehn Meilen«, sagte er.
    Waleran hielt ihn nicht auf. »Das heißt, Ihr erreicht gegen Abend den Weiler Bassingbourn. Dort findet Ihr ein Bett für die Nacht. Wenn Ihr Euch im Morgengrauen wieder auf den Weg macht, könnt Ihr mittags in Kingsbridge sein.«
    »Ja.« Philip wandte sich vom Fenster ab und sah den Erzdiakon an. Waleran starrte gedankenverloren ins Feuer; er hatte die Stirn gerunzelt. Nur allzu gern hätte Philip gewusst, was im Kopf des Mannes vorging, doch Waleran schwieg sich darüber aus. »Ich werde sofort aufbrechen«, sagte er.
    Waleran erwachte aus seiner Versonnenheit und war auf einen Schlag wieder freundlich und zuvorkommend. Er lächelte und stand auf. »Wohlan denn!«, sagte er, begleitete Philip zur Tür und folgte ihm die Treppen hinab in den Hof.
    Ein Stalljunge führte Philips Pferd vor und sattelte es. Waleran hätte sich nun ohne weiteres verabschieden und zum Kaminfeuer zurückkehren können, zog es jedoch vor zu warten. Wahrscheinlich will er ganz sicher sein, dass ich tatsächlich nach Kingsbridge und nicht doch nach Shiring reite, dachte Philip.
    Er saß auf und gestand sich ein, dass er sich erheblich wohler fühlte als bei seiner Ankunft. Er wollte sich gerade verabschieden, als er Tom Builder erkannte, den Baumeister, der in diesem Augenblick mit seiner Familie im Schlepptau durchs Tor schritt. Philip wandte sich an Waleran: »Da kommt ein Mann, den ich unterwegs getroffen habe. Er ist Baumeister. Ein anständiger Kerl, wie’s scheint, und er hat’s nicht leicht in diesem Winter. Vielleicht habt Ihr ein paar Ausbesserungsarbeiten zu erledigen. Ihr werdet bestimmt mit ihm zufrieden sein.«
    Waleran gab darauf keine Antwort. Er wirkte völlig fassungslos, all seine Gelassenheit war von ihm abgefallen. Mit offenem Mund starrte er die Familie an. Es war, als habe ihn der Schlag gerührt.
    »Was ist Euch?«, fragte Philip besorgt.
    »Die Frau!« Walerans Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    Philip sah sie an. »Sie ist recht hübsch«, sagte er; es war ihm bei ihrer ersten Begegnung gar nicht aufgefallen. »Indes hat man uns gelehrt, dass es für einen Priester ratsam ist, in Keuschheit zu leben. Wendet Euern Blick von ihr, Erzdiakon.«
    Waleran hörte ihm gar nicht zu. »Ich dachte, sie sei längst tot«, stammelte er. Dann sah er zu Philip auf und gab sich einen Ruck. »Grüßt mir den Prior von Kingsbridge!« Er versetzte Philips Pferd einen heftigen Schlag aufs Hinterteil; das Tier machte einen Satz und trabte zum Tor hinaus. Als Philip es wieder unter Kontrolle

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