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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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hatte, war er bereits zu weit fort, um sich zu verabschieden.
    +++
    Zur Mittagsstunde des folgenden Tages lag Kingsbridge vor ihm, genau wie Erzdiakon Waleran vorausgesagt hatte. Von einer bewaldeten Anhöhe bot sich ein weiter Blick über eine leblose, gefrorene Landschaft, deren Eintönigkeit nur durch vereinzelte kahle Baumskelette ein wenig aufgelockert wurde. Nirgendwo war ein Mensch zu sehen, es gab ja keine Feldarbeit, die mitten im Winter zu verrichten gewesen wäre. Ungefähr zwei Meilen weiter, ebenfalls auf einer Anhöhe, ragte die Kathedrale von Kingsbridge empor, ein gewaltiges, gedrungenes Bauwerk, das Philip an ein Denkmal auf einem Grabhügel erinnerte.
    Die Straße führte durch eine Senke, und Kingsbridge verschwand vorübergehend aus seinem Blickfeld. Das Pony, ein ruhiges Tier, suchte sich vorsichtig seinen Weg zwischen den gefrorenen Wagenspuren. Philip musste an Erzdiakon Waleran denken. Der Mann war so selbstsicher und gewandt in seinem Auftreten, dass Philip sich ihm gegenüber jung und naiv vorkam, obwohl der Altersunterschied zwischen ihnen nicht groß sein konnte. Mühelos und ohne seine Gäste zu verprellen, hatte er die Besprechung beendet, hatte aufmerksam angehört, was Philip ihm mitzuteilen wusste, hatte sogleich herausgefunden, dass der schwache Punkt im Mangel an handfesten Beweisen lag – und Philip schließlich fortgeschickt, ohne sich in irgendeiner Form auf eine bestimmte Handlungsweise festzulegen.
    Philip verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Grinsen. Erst jetzt erkannte er, wie sehr er sich hatte nasführen lassen. Waleran hatte ihm nicht einmal versprochen, den Bischof über den Verschwörungsplan in Kenntnis zu setzen. Dass Waleran die Informationen nutzbringend einsetzen würde, stand andererseits so gut wie fest – dafür würde schon sein Ehrgeiz sorgen. Vielleicht, dachte Philip, ist er mir sogar dankbar und zeigt sich bei Gelegenheit erkenntlich.
    Der Erzdiakon hatte ihn mächtig beeindruckt, das stand fest. Um so mehr verwunderte ihn die einzige Blöße, die Waleran sich gegeben hatte – seine Reaktion auf das Eheweib des Tom Builder. Die Frau war ihm, Philip, gleich bei der ersten Begegnung in einer gewissen, unbestimmten Weise gefährlich erschienen. Waleran war offenbar für ihre Reize empfänglich, was unter dem Strich natürlich auf dasselbe hinauslief. Aber da musste noch etwas anderes sein, hatte der Erzdiakon doch gesagt: Ich dachte, sie sei längst tot. Es klang fast, als hätte er in weit zurückliegender Zeit mit ihr gesündigt. Nach der Art zu urteilen, wie er mich fortschickte, muss er ein schlechtes Gewissen haben, dachte Philip. Er wollte zweifellos vermeiden, dass ich noch mehr erfuhr …
    Insgesamt vermochte aber auch die Episode mit der Frau das Bild, das Philip sich von Waleran gemacht hatte, nicht sonderlich zu beeinträchtigen. Waleran war ein Priester, kein Mönch. Keuschheit war von jeher ein wesentlicher Bestandteil des klösterlichen Lebens gewesen, den Priestern jedoch niemals zwingend auferlegt worden. Bischöfe hatten Mätressen und Dorfpfarrer Haushälterinnen. So wie es unmöglich war, böse Gedanken zu untersagen, war auch der Zölibat ein Gesetz, das sich kaum durchsetzen ließ. Wenn der Herr lüsternen Priestern nicht vergeben konnte, dann kamen nur sehr wenige Gottesdiener in den Himmel.
    Von der nächsten Anhöhe aus war Kingsbridge wieder zu sehen. Die gewaltige Kirche mit ihren vielen Rundbögen und kleinen, tief liegenden Fenstern beherrschte die ganze Umgebung. In gleicher Weise dominierte das Kloster das Dorf. Die Westfassade der Kathedrale, die sich Philips Blicken bot, war mit gedrungenen Zwillingstürmen versehen, von denen einer vor vier Jahren vom Blitz getroffen und eingestürzt war. Er war noch immer nicht wiederaufgebaut worden und trug wesentlich zu dem erbärmlichen Erscheinungsbild der Kathedrale bei. Philip regte sich bei jedem Besuch von Neuem darüber auf, für ihn war der Trümmerhaufen vor dem Portal eine ständige, beschämende Erinnerung an den Verfall der klösterlichen Moral in Kingsbridge.
    Um die Kirche herum gruppierten sich, wie Verschwörer um einen Thron, die aus dem gleichen hellen Kalkstein errichteten Klostergebäude, und außerhalb der niedrigen Mauer, die das Klostergelände umgab, standen vereinzelte reetgedeckte Hütten aus Lehm und Holz. Hier wohnten die Bauern, die die Felder in der Umgebung bestellten, sowie die Diener der Mönche. Ein schmales, ungeduldiges Flüsschen plätscherte

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