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Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth

Titel: Die Säulen der Erde - The Pillars of the Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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durch die Südwestecke des Dorfs und versorgte das Kloster mit Wasser. Eine alte Holzbrücke führte hinüber. Als Philip sie erreichte, spürte er einmal mehr, wie gallebitterer Zorn sich seiner bemächtigte. Die Priorei Kingsbridge war ein Schandmal der Kirche und des Klosterwesens, und er, Philip, konnte nichts dagegen tun. Seine Wut und die Erkenntnis seiner Machtlosigkeit stießen ihm bitter im Magen auf.
    Die Priorei war Eigentümerin der Brücke und erhob einen Brückenzoll. Die Bohlen knackten und quietschten unter dem Gewicht von Philip und seinem Pferd. Das Geräusch lockte am jenseitigen Ufer einen alten Mönch aus seinem Verschlag. Er erkannte Philip, winkte ihm zu und entfernte den alten Weidenast, der als eine Art Schranke diente. Philip fiel auf, dass der alte Mann hinkte. »Was ist mit deinem Fuß, Bruder Paul?«
    »Bloß eine Frostbeule. Das wird sich im nächsten Frühjahr schon geben.«
    Er trug lediglich Sandalen an den Füßen. Paul war ein zäher Bursche. Trotzdem war es im Grunde unbarmherzig, einen Mann im fortgeschrittenen Alter bei dieser Kälte den ganzen Tag im Freien zubringen zu lassen. »Du solltest ein Feuer haben, an dem du dich wärmen kannst«, sagte Philip.
    »Das wäre ein Segen!«, seufzte Paul. »Aber Bruder Remigius meint, das Feuerholz wäre teurer als die gesamten Einkünfte aus dem Brückenzoll.«
    »Wie viel verlangen wir denn?«
    »Pro Mann einen Farthing. Und einen Penny fürs Pferd.«
    »Wird die Brücke von vielen Menschen benutzt?«
    »O ja, von sehr vielen.«
    »Wieso können wir uns dann kein Feuerholz leisten?«
    »Nun ja – die Mönche bezahlen natürlich keinen Brückenzoll, genauso wenig wie die Diener der Priorei und die Dorfbewohner. Alle paar Tage kommt einmal ein fahrender Ritter vorbei oder ein Kesselflicker auf Wanderschaft. Ja, und dann natürlich an hohen Feiertagen, wenn Leute aus der ganzen Grafschaft zum Gottesdienst in die Kathedrale streben, da kommen ’ne Menge Farthings zusammen.«
    »Da wär’s doch wohl am besten, die Brücke nur an Feiertagen zu bemannen und dir von den Einkünften Feuerholz zu kaufen.«
    »Bitte, Bruder«, erwiderte Paul ängstlich, »sag Remigius nichts davon! Wenn er glaubt, ich hätte mich beklagt, wird er sehr ungehalten sein.«
    »Keine Sorge«, sagte Philip und trat seinem Pferd in die Flanken. Er wollte nicht, dass Paul sein Gesicht sah. Unfähigkeit und Dummheit regten ihn maßlos auf. Sein ganzes Leben hatte Paul dem Herrn und dem Kloster gedient, und nun, im Herbst seines Lebens, zwang man ihn dazu, wegen ein oder zwei Farthing am Tag bei klirrendem Frost im Brückenhäuschen auszuharren. Das war nicht nur grausam, sondern auch völlig überflüssig. Ein geduldiger alter Mann wie Paul konnte viel sinnvollere Aufgaben erfüllen – Hühner züchten zum Beispiel –, was auch von den Einkünften her für die Priorei viel günstiger wäre als der kümmerliche Brückenzoll. Doch der Prior war eben zu alt und zu träge, und für Remigius, den Subprior, galt offenbar das Gleiche.
    Es ist eine schwere Sünde, dachte Philip, so nachlässig mit den menschlichen und materiellen Werten umzugehen, die aus tiefer Frömmigkeit und Liebe dem Herrn überantwortet sind.
    In unversöhnlicher Stimmung dirigierte er sein Pony an den einfachen Hütten vorbei zum Tor der Priorei. Der Klosterhof bildete ein Rechteck, in dessen Mitte sich die Kathedrale erhob. Alle Gebäude nördlich und westlich der Kirche dienten weltlichen und praktischen Zwecken, während die Baulichkeiten im Osten und Süden privat oder zu geistlichen Verrichtungen genutzt wurden.
    Der Eingang zum Klosterhof befand sich aus diesem Grunde an der Nordwestecke des Rechtecks. Das Tor stand offen, und der junge Mönch im Wachhäuschen winkte Philip zu. Gleich hinter dem Tor, an der Westmauer, war der Stall, ein massiver Holzbau, der stabiler wirkte als so manch eine menschliche Unterkunft jenseits der Mauer. Auf Strohballen hockten zwei Stallburschen – keine Mönche, sondern weltliche Hilfskräfte der Priorei. Als Philip mit seinem Pferd eintrat, erhoben sie sich widerwillig, sichtlich wenig erfreut über die zusätzliche Arbeit, die ihnen der Besucher einbrockte.
    Ein scharfer Geruch drang Philip in die Nase. Er erkannte sofort, dass der Stall schon drei oder vier Wochen nicht mehr ausgemistet worden war. In seiner ohnehin schon gereizten Laune fand er sich nicht bereit, den Burschen ihre Nachlässigkeit durchgehen zu lassen. »Bevor ihr mein Pony einstellt«,

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