Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Saeulen der Macht

Die Saeulen der Macht

Titel: Die Saeulen der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Winter
Vom Netzwerk:
zog wie eine dunkle Wolke über sein Gesicht.
    Â» Das ist nicht nötig « , entgegnete Meister Ralnir. » Die letzte Prüfung steht noch aus, und ich wollte meine Zeit ungern damit vergeuden, die Auserwählten zu vergleichen. «
    Der unerschütterlichen Fruchtbarkeit des Königspaares hatten sie es zu verdanken, dass immerhin vier gesunde Kinder zur Auswahl standen. Die Brüder erwarteten natürlich, dass Ralnir dasjenige, das den Anforderungen am besten entsprach, nach Rajalan brachte und den übrigen die lebenslange Bindung an den Baum ersparte. Er hatte jedoch nicht vor, sich in die Entscheidung einzumischen. Demütig würde der Orden denjenigen als den neuen Herrscher anerkennen, den der Baum erwählte. Und noch aus einem weiteren Grund hatte der Meister nicht die Ergebnisse von Berias’ Bemühungen erfahren wollen: Er bildete sich ein, auf Anhieb erkennen zu können, welches der Königskinder die Geschicke des Landes auf seinen Schultern trug. Ralnir wusste, wie der Baum dachte, wie er fühlte– absurd, gewiss, da er, seit Jahrhunderten vertrocknet, seine knorrigen Zweige über die Ruinen breitete. Und dennoch… in ihm war die unumstößliche Gewissheit, dass sich die Herzenswahl des Baumes in seinem eigenen Herzen widerspiegeln würde.
    Â» Vergleichen? « Berias lachte so plötzlich auf, dass die beiden Eidechsen, die sich eine Handbreit neben seinem Oberschenkel sonnten, in eine Mauerritze flüchteten. » Was wollt Ihr denn da vergleichen? «
    Â» Berias « , sagte Ralnir, noch nicht drohend, doch erheblich missgestimmter, als er sich selbst eingestehen wollte. » Mein Bruder, redet endlich. Wie viele sind es? Nur der Älteste? Die Zwillinge? « Wohlweislich vermied er es, den zweiten Königssohn zu erwähnen, der ebenso wenig zählte wie die Missgeburt, die die königliche Familie in ihrem Schlossturm verbarg. Mit einem der Mädchen würde der Orden dagegen leben können, Mädchen waren immer für eine Überraschung gut. » Du hast die Prüfung durchgeführt, wie ich es angeordnet habe? «
    Â» Natürlich « , schnappte Berias gekränkt.
    Â» Und es gibt keinen Zweifel? «
    Â» Gewiss nicht. «
    Â» Also? Hör endlich auf, mich auf die Folter zu spannen. Ist es der Prinz? «
    Â» Es ist nicht Prinz Widian Dor Ilan « , sagte Berias leise.
    Auf einmal wurde Ralnir bewusst, dass der jüngere Ordensbruder schon den ganzen Tag unruhig gewesen war. Wenn er nicht so sehr in seine eigenen Sorgen verstrickt gewesen wäre, hätte er das längst bemerkt. Hatte Berias etwa gehofft, dass der Bann fehlschlug? Dass die Verlobungsgesellschaft nicht den Weg nach Rajalan einschlug, um hier zu tanzen, zu singen und zu speisen? Was konnte so schlimm sein, dass er sich gewünscht hatte, Ralnir würde versagen?
    Berias schüttelte den Kopf. » Seit Tagen habe ich mich vor dem Augenblick gefürchtet, in dem Ihr mir diese Frage stellt. «
    Also die Prinzessinnen. Und wenn nicht? Wer blieb dann noch übrig? Die Neffen der Königin, der furchterregenden Diyala Dora Ameer? Meister Ralnir kannte die verschlungenen Pfade ihres edlen Stammbaums in- und auswendig, und sofort zog eine Reihe von möglichen Kandidaten an seinem inneren Auge vorbei. Dennoch schrak er davor zurück, Berias nach den Namen zu fragen, jenen Namen, die ihrer aller Schicksal wenden würden.
    Â» Wie viele? « , fragte er stattdessen.
    Berias’ Antwort überraschte ihn, erschreckte ihn, versetzte ihn in einen Freudentaumel. » Einer. «
    Ralnirs Herz begann stürmisch zu schlagen. Einer! Das klang so endgültig. Der Orden war am Ziel seiner Suche angelangt. Der Meister hatte vorgehabt, die geeigneten Kinder eins nach dem anderen ins Gewölbe zu locken und sie dem Baum vorzuführen, doch mit einem würde sein Vorhaben wesentlich leichter gelingen. Einer. Schon jetzt, noch bevor Ralnir mehr über ihn wusste, fühlte er Wärme in seiner Brust aufsteigen, die Art von zurückhaltender Zuneigung, die ein Vater seinem lange vermissten Sohn entgegenzubringen vermochte. Oder ein Ritter seinem Herrn, Demut gepaart mit glühender Verehrung. Endlich würde der Orden ruhen können. Keine Tränen mehr, keine in bitterer Qual geächzten Gebete, keine blutigen, verkrampften Hände, keine vom stundenlangen Knien aufgeschürften Beine.
    Er spuckte ein Eidechsenknöchelchen aus,

Weitere Kostenlose Bücher