Die Saeulen der Macht
spürte es kaum, da ein ganz anderer Schmerz von ihm Besitz ergriffen hatte und der Zorn über die Launen des Schicksals ihn schier verbrannte.
Unwürdig.
» Jetzt ist aber genug! Hör auf! Willst du den Zorn seines Gottes auf dich ziehen? «
Meriwan zerrte seinen Neffen fort, und Meister Ralnir dachte nur: Er! Er! Oh Richterin, oh Wächter, warum ausgerechnet Prinz Tahan? Es war wie eine Axt am Baum seiner Seele.
Er sackte zusammen, doch statt des erwarteten, ersehnten Kniefalls vor dem auserwählten Friedensbringer war es nur sein Herz, dessen Schwäche ihn übermannte, das ihn zerriss. Einen Moment lang lieà er zu, dass die Qual der Enttäuschung ihn peinigte. Einen Augenblick lang unterlag er, und obwohl seine Wangen trocken blieben, obwohl kein Laut die Eidechsen vertrieb, schrie und heulte der Meister in seinem Inneren seine Wut hinaus.
Berias war an seiner Seite, ohne dass Ralnir ihn bemerkt hätte, griff nach seinem Arm und zog ihn über die StraÃe. Sie stolperten davon und retteten sich auf die andere Seite des Wagens, während der Bruder des Königs ihnen nachrief: » Verzeiht! Ich bitte die ehrwürdigen Brüder vielmals um Vergebung. Der Prinz ist betrunken, er weià nicht, was er tut. «
» Gar nicht wahr! « , protestierte Tahan. » Diese verfluchten Bettler sollen es sich nicht einfallen lassen, uns das schöne Picknick zu verderben! «
Ralnir lieà sich in den Graben fallen, der zu dieser Jahreszeit kein Wasser führte, nur um in der Nähe zu bleiben, nur um vielleicht noch ein einziges Mal den Duft der goldenen Blume zu erhaschen. Vielleicht wirkte er für die königliche Gesellschaft wie ein irrer Bettelmönch, als er zu lachen begann, doch Berias kniete sich vor ihn hin. Ihr freundschaftlicher Umgang endete immer dann, wenn der Zeitpunkt gekommen war, Befehle zu erteilen.
» Wie lauten Eure Anweisungen, Meister? Was sollen wir tun? «
» Er ist es, du hattest recht. « Ralnir lachte wieder laut auf. » Es ist kein Irrtum möglich. « Der Moment, in dem er sich gestattet hatte, sich seinem Zorn und seiner Enttäuschung hinzugeben und die Verzweiflung über die launischen Winkelzüge des Schicksals auszukosten, war vorüber. Er umklammerte die Scherbe, bis sein Blut in Strömen floss.
» Was jetzt? « , fragte Berias bang. » Werdet Ihr ihn zu dem Baum bringen? «
Schlagartig hörte Meister Ralnir auf zu lachen. Von dem verdorrten Baum, der seine schwarzen Ãste über die Ruinen breitete, blickte er hinüber zur Wiese, auf der Prinz Tahan Dor Ilan die Mädchen jagte. Nur eine Schlange, die sie zur Unzeit weckten, eine der giftigen Eidechsen, die in ihrer Verwirrung in ein Beinkleid kroch statt in die Mauerritze, und es würde weitergehen wie bisher. An tausend Sonnenläufe Krieg, Dürre und Ãberschwemmungen, Seuchen und Plagen würden sich weitere tausend Sonnenläufe anschlieÃen, in denen nicht der König in seinem mit Stuck und Zierrat verschnörkelten Schloss in Ghi Naral, sondern Hunger und Elend die wahren Herren dieses Landes blieben. Dennoch wünschte der Meister sich, der dumme Jüngling möge sein Unglück selbst herbeiführen, statt dem Orden die Verantwortung dafür zu übertragen.
» Nein « , sagte er. » Er darf nicht einmal in die Nähe des Baumes gelangen. Der Auserwählte, der sich mit dem brennenden Baum verbindet, wird sein ganzes Selbst mit dem Land teilen. Gedankenblut und Gedankenauge, Herzauge und Herzfleisch. Was wäre das für ein Königreich, gekettet an einen törichten Knaben, einen scharfzüngigen Weiberhelden mit einem Milchbart? Wenn er nur dumm wäre und dafür ein reines Herz mitbrächte⦠aber jemandem wie ihm sollen wir den kostbarsten Schatz anvertrauen, den es unter dem Himmel gibt? Den Baum, über den wir seit Jahrhunderten wachen? « Er redete sich in Rage, fühlte, wie ihm die Hitze ins Gesicht stieg, wie seine Wangen brannten.
Berias erbebte, und nur seinem Mut war es zu verdanken, dass er nicht zurückwich, denn er wusste, wozu der Meister des Ordens der Vier fähig war. » Aber dann sind sie beide verloren, Terajalas und der Baum. Der Junge allein hat die Macht, ihn zu wecken. «
» Wecken wird er ihn ohne Zweifel « , sagte Ralnir. » Doch nicht, ehe es an der Zeit ist. Nicht, ehe wir jemanden gefunden haben, der seinen Platz im Gefüge des
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