Die Säulen der Schöpfung - 13
eine zurückversetzte Türnische.
Soldaten weiter vorn im Gang schrien unter tödlichen Schmerzen. Ihre Schreie waren so ungezügelt, daß es Jennsen eiskalt überlief. Dunkelheit und Rauch erschwerten jegliche Orientierung, trotzdem stießen sie kurz darauf auf die ersten Leichen. Zwar gab es einige Überlebende, doch deren gräßliche Verletzungen ließen keinen Zweifel daran, daß auch ihr Ende nahte. Jennsen und Sebastian kletterten über die Sterbenden hinweg und stolperten auf der Suche nach Jagang durch die Spuren des Gemetzels und die knietiefen, von einer Wand zur anderen reichenden Trümmer.
Dann endlich fanden sie ihn. Jagangs linker Oberschenkel war bis auf den Knochen freigelegt; neben ihm stand eine Schwester, den Rücken an die Wand gepreßt. Eine riesige, zersplitterte Eichenplanke hatte sie unmittelbar unterhalb des Brustbeins durchbohrt und an die Wand gespießt. Sie lebte noch, trotzdem war offenkundig, daß jede Hilfe zu spät kam.
»Gütiger Schöpfer, vergib mir. Gütiger Schöpfer, vergib uns«, murmelte sie leise ein ums andere Mal mit bebenden Lippen vor sich hin. Sie wandte die Augen herum, als sie die beiden kommen sah. »Bitte«, hauchte sie. während sich blutiger Schaum um ihre Nase bildete, »so helft mir doch, bitte.«
Offenbar hatte sie unmittelbar neben dem Kaiser gestanden, ihn wahrscheinlich mit ihrer Gabe abgeschirmt, alle entfesselten Energien von ihm abgelenkt und ihm damit das Leben gerettet. Jetzt wand sie sich in Todesqualen.
Sebastian zog einen hinter seinem Rücken verborgenen Gegenstand unter seinem Umhang hervor. Mit wuchtigem Schwung ließ er seine Streitaxt kreisen, bis sich die Klinge mit einem hallenden Geräusch in die Mauer bohrte und stecken blieb. Der Kopf der Schwester purzelte herab und rollte zwischen die staubigen Trümmer.
Ein kräftiger Ruck, und Sebastian hatte seine Axt wieder befreit. Während er sie in die Schlaufe hinter seinem Rücken zurückschob, drehte er sich herum, so daß er Jennsen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Sie konnte nur entsetzt in seine kalten, blauen Augen starren.
»Angenommen, das wärst du«, sagte er »würdest du wollen, daß ich dich solche Qualen leiden lasse?«
Unfähig, ihm zu antworten, wandte Jennsen sich ab und ließ sich neben Kaiser Jagang auf die Knie fallen. Sie hatte geglaubt, er müsse grauenhafte Schmerzen leiden, doch abgesehen von der Gewißheit, daß ihm sein Bein nicht mehr gehorchte, schien er sich der klaffenden Wunde kaum bewußt. Er drückte die beiden Wundränder, so gut es eben ging, mit einer Hand zusammen, verlor aber immer noch große Mengen Blut. Mit der anderen Hand hatte er sich zur Seite hinüberziehen können, wo er an der Wand lehnte. Das Gesicht schweiß- und rußverschmiert, wies Jagang mit seinem Schwert in einen Seitengang. »Sie ist es, Sebastian! Genau hier hat sie gestanden. Um ein Haar hätte ich sie gehabt. Laßt sie nicht entkommen!«
Eine zweite Schwester stolperte durch das Dunkel auf sie zu. »Exzellenz! Ich habe Euch rufen hören! Ich bin schon da, ich bin hier, ich werde Euch helfen.«
Jagang, eine Hand auf seiner wogenden Brust, nickte dankbar. »Sebastian, laßt sie nicht entkommen! Macht schon!«
»Jawohl, Exzellenz.« Mit einem Blick zu der Schwester legte er Jennsen eine Hand auf die Schulter. »Du bleibst hier bei ihnen. Sie wird dich und den Kaiser beschützen. Ich komme wieder hierher zurück.«
Plötzlich war Jennsen allein mit dem schwer verwundeten Kaiser, einer Schwester der Lichts und der Stimme.
Sie ergriff das lose Ende eines Fetzens durchsichtigen Vorhangstoffs und zog ihn unter den Trümmern hervor. »Ihr verliert große Mengen Blut. Ich muß die Wunde schließen, so gut es eben geht.« Sie blickte hoch in die alptraumhaften Augen Kaiser Jagangs. »Könntet Ihr mir helfen, sie zuzuhalten, während ich Euch verbinde?«
Er grinste. Der Schweiß lief ihm in Strömen übers Gesicht, helle Streifen im staubigen Schmutz hinterlassend. »Es tut nicht weh, Mädchen. Nur zu, ich hab schon Schlimmeres durchgemacht. Und macht schnell.«
Jennsen ging daran, den schmutzigen Vorhangstreifen unter seinem Bein hindurchzufädeln, das Bein zu umwickeln und den Vorgang zu wiederholen, wahrend Jagang die klaffende Wunde nach besten Kräften zusammenhielt. Das zarte Gewebe verfärbte sich fast augenblicklich rot, als es mit seinem dicken Blut in Berührung kam. Die Schwester stützte sich mit einer Hand auf Jennsens Schulter ab und ließ sich auf die Knie
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