Die Säulen der Schöpfung - 13
das Bewußtsein verloren. Ihr Gesicht tat so entsetzlich weh, daß ihr schwindelig wurde.
Jennsen horchte auf die Stimme, die ihr einredete, aufzustehen und weiterzulaufen, doch erst nach einer Weile war sie wieder so weit, daß sie sich hochstemmen konnte. Ihr Bein steckte in einem Gewirr aus Trümmerteilen fest. Schließlich gelang es ihr, ein Brett zur Seite zu stemmen, so daß ein Spalt entstand, durch den sie ihren Fuß herausziehen konnte. Glücklicherweise hatte ihr Stiefel verhindert, daß das gesplitterte Holz ihr Bein aufschlitzen konnte.
Jennsen merkte, daß sie mit leeren Händen dahockte. Sie hatte ihr Messer verloren! Wie von Sinnen begann sie auf Händen und Knien krabbelnd den Trümmerhaufen aus Holzteilen, Putzbrocken und verheddertem Vorhangstoff zu durchwühlen, um ihr Messer wiederzufinden. Sie schob ihren Arm unter einen umgestürzten Tisch ganz in der Nähe, tastete blindlings umher.
Schließlich stieß sie mit den Fingerspitzen gegen etwas Glattes. Sie tastete sich daran entlang, bis sie den kunstvoll ziselierten Buchstaben »R« fühlte. Ächzend vor Anstrengung stemmte sie ein Bein des umgestürzten Tisches mit der Schulter in die Höhe, bis sich das ganze Chaos knirschend ein kleines Stückchen zu bewegen begann. Dann endlich konnte sie weit genug darunterlangen, um ihr Messer hervorzuziehen.
Als Jennsen wieder auf die Beine kam, hatte sich der Mann längst aus dem Staub gemacht; sie eilte ihm trotzdem hinterher. Sie lief den Gang hinunter, den er ihrer Meinung nach genommen haben mußte, warf einen Blick in die einzelnen Zimmer, durchsuchte fensterlose Nischen, immer tiefer in das düstere Innere des Palasts vordringend.
Aus weiter Ferne hörte sie hektisches Gebrüll von Soldatenstimmen, man solle ihnen folgen. Sie versuchte Sebastians Stimme unter ihnen auszumachen, konnte ihn aber nicht heraushören. Und sie vernahm die unverkennbaren Geräusche des Entfesselns von Magie; es klang wie das Knistern von Blitzen, nur eben in geschlossenen Räumen. Manchmal erzitterte der gesamte Palast darunter; gelegentlich waren auch die Schreie sterbender Soldaten zu hören.
Plötzlich hörte Jennsen das Geräusch laufender Soldaten, deren Stiefeltritte durch die Flure dröhnten. Gleich darauf vernahm sie Sebastians Stimme, »Dort entlang! Das ist sie!«
Jennsen rannte zu einer Kreuzung und bog in einen Flur ein, der in die Richtung führte, aus der sie Sebastians Stimme gehört hatte.
Am Ende des großzügigen Korridors mit den granitenen Alkoven in den Wänden auf beiden Seiten, in denen kunstvoll gearbeitete Gegenstände unterschiedlichster Art standen, stieß Jennsen eine golden eingefaßte Doppeltür auf und stand in einem Raum von gewaltigen Ausmaßen. Das Geräusch der von den Wänden zurückprallenden Türflügel hallte durch den Raum, dessen schiere Größe und Pracht Jennsen jäh innehalten ließ. Die Innenseite der gewaltigen Kuppel hoch über ihrem Kopf war mit kostbaren Malereien geschmückt. Unterhalb dieser majestätisch anmutenden Figuren ließ ein Kranz aus runden Fenstern großzügig Licht herein. Zur Seite hin befand sich ein halbkreisförmiges Podium, auf dem – hinter einem eindrucksvollen, mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch – eine Reihe von Stühlen stand. Jenseits eines von Bögen überkronten Säulenganges verbargen sich Treppen, die zu der geschwungenen, von wellenförmigen Geländern aus poliertem Mahagoni eingefaßten Galerie hinaufführten.
An der beeindruckenden Architektur erkannte Jennsen, daß dies der Raum sein mußte, von dem aus die Mutter Konfessor über die Midlands herrschte. Die Sitzreihen oben auf den Balkonen dienten zweifellos dazu, Besuchern oder Würdenträgern einen Blick auf die Amtshandlungen zu ermöglichen.
Drüben, auf der anderen Seite des Saales, sah Jennsen hinter den Säulenbögen eine Gestalt wandeln. Im selben Augenblick stürzte Sebastian durch eine andere, nicht weit rechts von ihr gelegene Tür, begleitet von einer Kompanie Soldaten, die sich hinter ihm durch den Türrahmen drängte.
Er wies mit dem Schwert auf sie. »Dort ist sie!« Er war völlig außer Atem; seine blauen Augen funkelten wütend.
Als Jennsen in die Richtung spähte, in die er zeigte, konnte sie die hoch gewachsene Frau auf der anderen Seite des Saales endlich erkennen. Sie war mit einem einfachen, grob gewebten Leinengewand bekleidet, das am Halsausschnitt nur ein paar rote und gelbe Zierstiche als Schmuck aufwies, und trug ihr schwarzgraues, exakt bis zu
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