Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 01 - Der Zauberbund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
Vom Netzwerk:
geboren und dann vor langer, langer Zeit ausgesetzt worden war, damit es starb. Und danach suchte er alle heim, die an seinem geheimen Grab vorüberkamen.
    Oh, sie wusste nur zu gut, was mit den Leuten geschah, die einem solchen Grab im Wald zu nahe kamen! Wenn der Säugling, groß wie ein Haus, unter unerträglichem Geschrei den Menschen verfolgte, mit Schritten, unter denen die Erde erbebte, und sich dann am Rücken festklammerte, sodass man auf die Knie sank. Sie kannte auch alle Gestalten, in die sich ein solcher Geist verwandeln konnte. Schwarze Hunde, Kinderleichen ohne Kehle, Raben und Kriechtiere. Alle gleich bösartig.
    Silje blieb wie versteinert stehen. Die Beine wollten ihrem Befehl, von dieser Stätte zu flüchten, einfach nicht gehorchen.
    Das kleine Mädchen jedoch, das sich dicht an sie geschmiegt hatte, reagierte auf ganz andere Weise.
    Sie sagte etwas, das Silje nicht verstehen konnte. Ein einziges Wort, einen Namen vielleicht. Es hörte sich an wie »Nadda« oder so ähnlich.
    Konnte sie einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester gehabt haben, die oder der vor Kurzem gestorben war? Das war nicht ganz ausgeschlossen.
    Das Mädchen zog an ihrer Hand, wollte sie in Richtung des Kinderweinens ziehen, zwischen die Baumstämme, ein Stück von dem Weg entfernt, auf dem sie ihrer Vorstellung nach unterwegs waren.
    Silje weigerte sich, sie wollte am liebsten fort von hier.
    Das Kind wiederholte den Namen oder das Wort noch einmal. Seine Stimme war wieder weinerlich.
    »Aber das ist gefährlich«, protestierte Silje. »Wir müssen gehen, fort, fort!«
    Weglaufen? Mit einem riesengroßen Geist auf den Fersen? Nein, das würde es noch schlimmer machen.
    Ihr kam eine andere, eine friedlichere Erinnerung. Die Erinnerung an den verzweifelten Wunsch der Ausgeburt nach Taufe, an den Ruf nach der Mutter.
    Was tat man mit einem Geist, damit er Ruhe gab? Messen lesen? Sie war aber kein Priester. Oder... halt! Es gab da einen Spruch, eine Beschwörungsformel. Wenn sie sich doch nur daran erinnern könnte! Etwas mit »Ich taufe dich...«
    Am besten alles auf einmal.
    Silje holte tief Luft, und so begann sie, alle Gebete aufzusagen, die sie gelernt hatte. Es kamen abwechselnd protestantische und katholische dabei heraus, Fragmente, die sie aus ihrer frühsten Kindheit in Erinnerung hatte, Lektionen, die sie beim Dorfgeistlichen gelernt hatte.
    Zögernd, beim geringsten Anzeichen von Gefahr zur Flucht bereit, näherte sie sich dem Geist.
    Der Geist schwieg jetzt. Die Gebete hatten geholfen!
    Silje wurde ein wenig sicherer und ging etwas schneller. Zugleich versuchte sie, ein Ritual zusammenzustellen, das als Taufe taugen könnte. Das Mädchen zog eifrig an ihr, damit sie sich beeilte.
    Während sie sich vorwärtstasteten, murmelte Silje mit unsicherer Stimme:
    »Ich fand dich nachts in der Dunkelheit. Deshalb taufe ich dich Dag, Tag, falls du ein Junge bist. Und du warst dazu verdammt, eines Tages zu sterben – wie lange das her ist, weiß ich nicht. Deshalb taufe ich dich Liv, Leben, falls du ein Mädchen bist.«
    Hörte sich das albern an? War das als Taufritual geeignet? Sicherheitshalber fügte sie noch hinzu: »In Jesu Christi Namen, Amen.« Wohl wissend, dass sie nicht das Recht hatte, so heilige Worte in den Mund zu nehmen. Die waren den Geistlichen vorbehalten.
    War es womöglich gefährlich, ein Kind Liv zu nennen? Vielleicht würde die Ausgeburt dann tatsächlich zum Leben erwachen und sich mit gewaltiger Macht erheben... Nein, so etwas durfte sie nicht denken. Sie hatte jetzt ihr Bestes getan, und nun konnte sie nur beten, dass es reichte.
    Das Mädchen wollte unbedingt die Ausgeburt ausfindig machen, was Siljes Vermutung verstärkte, dass sie kleinere Geschwister gehabt hatte. Der Versuch, sie davon abzuhalten, war zwecklos, es blieb ihr nichts anderes übrig, als der Kleinen zu folgen.
    Hier irgendwo musste es sein. Sie blieb stehen, bückte sich und begann, im Dunkeln unter den Bäumen zu suchen. Ihr klopfte das Herz vor Angst, und die frierenden Finger zitterten.
    Aber eine Ausgeburt anfassen?
    Wie würde sich das anfühlen? Da konnte doch alles Mögliche liegen? Vielleicht nur vertrocknete Knochen? Oder etwas Ekelerregendes und Schleimiges? Oder würde etwas, stark wie Eisen, nach ihrem Handgelenk greifen? Sie wäre am liebsten vor allem geflohen, als sie plötzlich zusammenzuckte.
    Das Mädchen hatte bestimmt etwas gefunden. Sie plapperte in einem fort, vollkommen unverständlich. Und da hörte

Weitere Kostenlose Bücher