Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund
arrogante Ausdrucksweise. Im Vergleich zu den Kleidern des Mädchens war das der Gipfel des Wohlstandes. »Nein, so habe ich das nicht gemeint, Meta, ich habe nur Spaß gemacht. Aber du kannst es behalten.«
Meta wäre vor lauter Glück fast wieder in Tränen ausgebrochen. Und Sol kam sich edel vor. Eigentlich ein schönes Gefühl.
Das kleine Häuflein Elend hauchte jämmerlich: »Laßt mich nicht allein, Euer Gnaden!«
»Ich muß.«
»Versprecht, daß Ihr zurückkommt!«
»Hast du Angst?«
»Ein bißchen. Wilde Tiere und Gespenster und so …« »Die gibt es hier nicht. Das kann ich dir garantieren. Aber ich verspreche dir, daß ich zurückkomme. Hier, nimm das Messer, ich habe noch eins. Dann fühlst du dich etwas sicherer. Und denk nicht mehr daran, was passiert ist!« »Das kann man nicht so leicht vergessen, Euer Gnaden.« »Nein, da hast du ganz recht. Weißt du übrigens, wo Ansgars Klyfta liegt?« fragte Sol nach einer kurzen Pause. »Ja, ungefähr, aber da ist es gefährlich! Da geht es direkt in den Abgrund, wird erzählt. Da wohnt der Teufel.« Wie nett, dachte Sol bei sich. Hätte nur ein Abgrund existiert dann hätte sie sich bereitwillig hineingestürzt. Die Vorstellung kam ihr sehr verlockend vor.
Sie lächelte schräg. »Geschwätz! Und hast du den Eindruck daß ich Angst vor ihm habe?« - »Nein.«
Den Weg dorthin erklärte Meta etwas vage. Es schien nicht schrecklich weit entfernt zu sein.
»Weißt du, ob hier am Fluß Nachtschatten - Bittersüß - wachsen?«
»Was ist das?«
Sol seufzte, verabschiedete sich und ritt davon.
Der Regen über Oslo hatte aufgehört. Aber Liv stand wieder am Fenster - denn sie hatte nichts anderes zu tun, wagte keine Arbeit in die Hand zu nehmen.
Ihre Schwiegermutter hatte beschlossen, an jenem Tag gesund zu sein, und war auf Besuch bei einer Nachbarin, um der neuesten Klatsch zu erfahren.
Jemand trat durch die Haustür ein.
Da war der wohlvertraute Knall, der verriet, daß Laurents nach Hause gekommen war.
Liv krümmte sich. Die Schmerzen im Bauch wurden immer stärker. Dann nahm sie sich zusammen und empfing ihren Mann mit einem Lächeln. »Guten Tag, Berenius«, begrüßte sie ihn. »Ihr seid früh zu Hause.«
Sie durfte nicht Laurents sagen, das war zu vulgär. Liv war gegenteiliger Ansicht, hatte sich jedoch wie stets gefügt. Er strahlte, als er sie sah.
»Da bist du also, mein kleines Herz!« sagte er und schlang die Arme um sie. »Wie gut dir das Kleid steht! Ja, das habe ich mir gedacht. Ich habe ja schließlich den Stoff ausgesucht. Und wie geht es dem kleinen Engel heute, hm?«
»Gut«, antwortete sie mit einem steifen Lächeln. »Ganz gut, danke. Mir ist nur etwas langweilig, wenn Ihr nicht im Haus seid.
Er wandte sich ungeduldig ab. »Das höre ich nicht zum ersten Mal. Ich tue alles für dich, trage dich auf Händen. Du hast keinen Kummer, keine Sorgen, brauchst nicht das geringste zu tun, und dennoch beklagst du dich.« »Vergebt mir«, flüsterte Liv. »Ich werde es nicht mehr sagen. Könnt Ihr nicht etwas vom Kontor erzählen, Berenius?«
»Was?« lacht er. »Soll ich dich mit Dingen belästigen, von denen du nicht das Geringste verstehst? Sei jetzt nicht dumm, Liv.«
»Nein, ich meinte bloß… Eine Ehefrau sollte das Leben und die Schwierigkeiten ihres Mannes teilen. Das möchte ich so gern tun.«
»Nein, weißt du was! Wir teilen das Leben hier zu Hause. Das, was sich draußen abspielt, das ist mein Ressort.« »Aber ich bin im Rechnen ganz gut«, sagte sie eifrig. »Und ich habe eine schöne Handschrift, sagt man. Könnte ich Euch nicht im Kontor helfen? Dann könnten wir zusammen sein, und ich käme etwas raus aus … Oh nein, Verzeihung!« Sein Gesicht hatte sich gewittergrau verfinstert, und mit einem Ruck riß er eine Reitpeitsche von der Wand. Liv hatte damit schon vorher Bekanntschaft gemacht, und sie winselte wie ein kleiner Hund, als sie vor ihm davon lief. Sie lief von Zimmer zu Zimmer, dicht gefolgt von ihrem Mann. »Halt!« rief er. »Halt, du undankbares Mädchen!«, Liv zwängte sich in eine Ecke des hintersten Zimmers. Die Peitsche sauste durch die Luft. Nicht kräftig, doch schmerzhaft genug.
»Wie kannst du es wagen, auch nur anzudeuten, daß du mir bei meiner Arbeit behilflich sein könntest?« fauchte er mit Schaum in den Mundwinkeln. »Rechnen! Du - eine Ehefrau:' Wie kannst du es wagen, so eingebildet zu sein?« Liv kauerte sich noch mehr zusammen. Angesichts ihrer Hilflosigkeit verging ihm die Wut. Er
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