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Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund

Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund

Titel: Die Saga vom Eisvolk 03 - Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margit Sandemo
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anderen beiden sprangen erschrocken auf. Reglos blieben sie stehen, während Sol die steile Böschung hinunterkletterte.
    Sie ging fast ganz zu ihnen heran. Sie war etwas unsicher, weil sie jetzt mit langen Blicken taxiert wurde.
    Es folgte eine lange Stille. Sol bemerkte abwesend, wie angenehm es in der windgeschützten Kluft war. »Sei willkommen, Tochter des Eisvolkes!«
    Sol zuckte zusammen. Die Frau, die auf sie gezeigt und sich nicht erhoben hatte, sprach sie an. Ihre Stimme war heiser. »Ihr kennt mich? Ihr kennt das Eisvolk?«
    Die Frau bat sie, Platz zu nehmen, und die anderen beiden setzten sich ebenfalls wieder.
    »Nein, dich kenne ich nicht«, die alte Frau lächelte übers ganze Gesicht. »Aber der Name des Eisvolkes ist in unseren Kreisen hoch angesehen. Und deine Augen lassen an deiner Zugehörigkeit keinen Zweifel. Doch soweit ich weiß, haben sie bis vor etwa fünfzehn Jahren in Trandelag gelebt, dann sind sie ausgerottet worden. Wie kommt es dann, daß du hier bist?«
    »Das ist ein lange Geschichte«, sagte Sol. »Aber ich habe von meiner alten Tante Hanna von den Hexen in Brösarps Backar gehört, und weil ich fast als Einzige vom richtigen Eisvolk übriggeblieben bin, habe ich mein ganzes Leben Sehnsucht nach diesem Ort gehabt.«
    »Hanna?« sagte die Alte. Sie war in einen dunklen Umhang und einen Schal eingehüllt, so daß Sol kaum ihr Gesicht erkennen konnte. »Hanna? Meine Großmutter hat einmal von einer Hanna vom Eisvolk gehört, die große Kräfte besaß. Kann es vielleicht sie gewesen sein?«
    »Das ist gut möglich. Alles, was ich kann, habe ich von ihr gelernt.«
    »Aber wie hast du hierher nach Brösarp gefunden?« fragte die andere Frau.
    Sol lächelte. »Wer im Leben nur einen Wunsch hat, sorgt dafür, daß er erfüllt wird. Nein, ein altes Ehepaar hat mir geholfen, weil sie begriffen, wohin ich gehöre. Die Landsknechte des Vogtes stoßen bei ihnen auf eine Mauer des Schweigens.« »Gut«, sagte die Frau.
    Sol war so glücklich, daß sie hätte sterben können. Sie boten ihr zu essen an, einfaches Brot und Wasser, und sie konnte die drei genauer beobachten, während sie sie ausfragten. Die alte Frau hatte glatte und schöne Haut wie ein junges Mädchen, ihr Haar aber war weiß, und Zähne hatte sie keine mehr. Die andere Frau war mittleren Alters und von so schlechter Gesundheit, daß Sol fürchtete, sie könne auf der Stelle umfallen. Bleich und mager war sie, und weder der Schal noch das Feuer schienen ihr genug Wärme zu spenden. Ihr Haar war graublond und strähnig, und die Gesichtshaut war allzu früh abgesunken. Ihr Husten war die ganze Zeit trocken und krächzend.
    Der Mann war ein seltsamer, stiller Mensch, schwer einzuordnen. Hochgewachsen und ungelenk, die Glieder erschienen zufällig zusammengesetzt, und sein Gesicht mit den traurigen Augen war langgezogen. Seine Handgelenke trugen tiefe Spuren von den Handeisen des Landvogtes. Aber Sols Besuch ließ sie anscheinend aufleben. Als Sol ihnen von ihren Abenteuern erzählt hatte, wollte sie nun auch von denen der anderen hören. Und was sie nun hörte bekam, waren Erzählungen über ein erbärmliches Leben in ständiger Angst und Furcht.
    Der Mond war aus ihrem Blickfeld verschwunden. Die Nacht umgab sie mit Dunkelheit - doppelt so dunkel vor der sicheren kleinen Welt des Feuers, fand Sol.
    »Ach, wir sind nur noch so wenige«, seufzte die alte Frau. »Und das ist ja auch kein Wunder, so wie die Kirche und die Obrigkeit gegen uns vorgehen. Wenn sie uns nicht finden, nehmen sie, wen sie kriegen können. Du weißt, Mädchen, daß sie es nicht so genau nehmen. Gewöhnliche, harmlose Frauen, die nicht einen Funken mit Zauberei zu tun haben, nehmen sie auf den Wink eines bösen Nachbarn gefangen. Mein Herz weint oft über diese Unglückseligen. Wir, die wir wirklich diese unerwünschten Gaben besitzen, die wir trotzdem so sehr lieben, müssen zehnmal so vorsichtig sein.
    Vor fünfzig Jahren waren wir in Dänemark noch ganz viele. Nun ist nur noch eine Handvoll übrig. Die meisten davon siehst du hier.«
    Und das sind nicht viele, dachte Sol. Die beiden Frauen würden wohl kaum den Winter überleben. Auch der Mann machte keinen gesunden Eindruck, er hatte nicht mehr lange zu leben. Und dann? Was blieb dann noch? Eine leere Welt! »Ich bin in Norwegen wahrscheinlich die einzige«, sagte Sol. Abgesehen von meinem Onkel, aber er ist zur anderen Seite übergelaufen. Er will seine Kraft nur zum Handauflegen und zur Heilung von Kranken

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