Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
tragen jetzt den vornehmen Namen von Meiden. Aber wir anderen? Ich heiße Tengel vom Eisvolk, aber das ist ein Sippenname, der niemals außerhalb der Familie genannt werden darf… Wird es dir sehr langweilig, Yrja?«
Sie schüttelte eifrig den Kopf, dankbar darüber, daß er ihr ein wenig Aufmerksamkeit erwies, aber gleichzeitig peinlich berührt, daß sie auf einmal im Mittelpunkt stand. »Ich werde das Eisvolk niemals erwähnen.«
»Gut. Ihr wißt, daß die meisten automatisch den Namen ihres Hofes tragen. So wie du, Yrja. Du heißt ja wohl Yrja Mattiastochter Eikeby, nicht wahr?« »Ja.«
»Aber wir können uns nicht Lindenallee nennen, das ist so… Das hört sich nicht wie ein richtiger Name an, und außerdem nennt uns niemand hier in Kirchspiel so. Ich habe lange, lange nachgedacht, aber keine Lösung gefunden. Jetzt möchte ich eure Vorschläge hören.«
Nach einem Moment der Stille hagelte es ein Schauer von Vorschlägen. Einige wenige lagen schnell auf der Hand, aber Cecilie und Tarjei konnten es natürlich nicht lassen, herumzualbern, und so wurden die wildesten Ideen laut. »Ich finde, Linden hört sich gut an«, sagte Charlotte. »Oder vielleicht Eise?« sagte Silje. »Dann ist auch etwas vom Eisvolk darin.«
»Und warum nicht Eislinden?« schlug Cecilie schelmisch vor.
Sofort kam ein Schwall mehr oder weniger ernsthafter Vorschläge von Tarjei, Trond und Cecilie: Eishof, Lindeneis, Eiselind, Friert im Wind, Frost in den Linden wo wir uns…
»Nein, ich weiß«, sagte Cecilie. »Wir gehen davon aus, wie uns die Leute nennen. Wir werden heißen: Da-oben-wo-dermerkwürdige- Arzt- wohnt.« »Und-seine-frechen-Kinder«, ergänzte Tarjei. »Halt, aufhören, Schluß jetzt«, lachte Tengel.
Yrja beobachtete sprachlos das Spektakel. Hier fielen die Jüngeren den Älteren respektlos ins Wort, und Herr Tengel lachte nur! Das hätte mal jemand daheim auf Eikeby versuchen sollen! Zwar waren sie nur eine einfache Bauernfamilie, aber wehe dem, der bei Tisch den Mund aufzumachen wagte - oder, noch schlimmer, der sich in die Gespräche der Älteren mischte. Und sie wußte genau, daß es auf allen anderen Höfen rundherum nicht anders war. Schläge und Tritte und die Furcht des Herrn, bewahre!
Sie konnte sich nicht helfen, aber sie beneidete diese ungewöhnliche Familie. Sogar die vornehme Baronin Charlotte schien diesen lockeren Ton an der Tafel hinzunehmen. Allein schon, daß sie die Geburtstage feierten, war ganz außergewöhnlich. Daheim wurden nur die kirchlichen und christlichen Feste gefeiert - Weihnachten, Ostern, Pfingsten, St. Johannis, St. Olav, St. Michaelis und so weiter. Und dann mit strengen Zeremonien, mit Gebeten und Kirchgang. Schließlich kam Tarald mit dem einfachen Namen Lind. Die Familie spaltete sich zwischen diesem Vorschlag und dem Namen Linden.
»Lind vom Eisvolk«, sagte Charlotte. »Das hört sich richtig adelig an.«
»Wir werden mit dem endgültigen Beschluß warten«, entschied Tengel. »Der Name betrifft zunächst Are und Meta und ihre drei Jungen, Tarjei, Trond und Brand. Und er betrifft Sunniva, bis sie heiratet. Es war vor allem deinetwegen, Sunniva, daß ich gern einen Familiennamen schaffen wollte, denn du hast ja keinen. Keinen anderen als Solstochter, aber es ist nicht üblich, den Namen der Mutter zu tragen.«
Das Mädchen schlug die Augen nieder, mit einem kleinen, entschuldigenden Lächeln.
»Auch Sol hatte keinen richtigen Familiennamen«, fuhr Tengel fort. »Sie hieß einfach Sol Angelica vom Eisvolk.« »Aber sie hatte doch einen Vater?«
»Ja, aber seinen wirklichen Namen habe ich nie erfahren. Na, wenn wir denn alle satt geworden sind, können wir ja die Tafel aufheben.«
Später am Abend kleidete sich Silje in ihrem Schlafzimmer aus.
»Was für eine schöne Geburtstagsfeier«, seufzte sie. » Ich glaube, sie hat allen gefallen - glaubst du nicht auch?« »Doch«, murmelte Tengel, der auf der Bettkante saß und sich die Zehen mit dem feuchten Zipfel eines Handtuchs abrieb. Silje tat so, als bemerke sie es nicht. Man konnte einen alten Bären nicht mehr das Tanzen lehren.
»Wie schön es für Yrja gewesen sein muß, dabeizusein!« sagte sie munter. »Und gefeiert zu werden. Sie hat sich so sehr über die kleinen Geschenke gefreut. Aber ansonsten war sie seltsam abwesend heute, fand ich.«
»Mhm«, sagte Tengel, der nur mit halbem Ohr zuhörte. »Weißt du, was ich glaube, Tengel?« »Nein, was?«
»Ich glaube, daß Tarald und Sunniva ein Auge aufeinander
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