Die Saga vom Eisvolk 04 - Sehnsucht
Befinden Eurer werten Eltern?« »Danke, ganz ausgezeichnet! Sie haben mich gebeten, Euch zu besuchen, da ich ohnehin nach Norwegen mußte. Ich bin in einer ganz speziellen Angelegenheit gekommen.« Nachdem er ausgiebig gespeist und vom besten Wein des Hauses getrunken hatte, erklärte er:
»Meine Eltern haben Eure Schwester niemals vergessen. Sie war das beste Kindermädchen, das sie jemals hatten. Ich selbst erinnere mich allerdings kaum an sie. Nun sucht man bei Hofe verzweifelt nach einem tüchtigen Kindermädchen für die Kinder von König Christian und Kirsten Munk. Ja, Ihr wißt sicherlich, daß er eine morganatische Ehe mit ihr eingegangen ist? Aber wie es scheint, ist es schwierig, eine geeignete Person zu finden. Man fragte meine Eltern um Rat, und weil ich eine Reise nach Norwegen plante, schlugen sie vor, ich solle bei Euch vorbeischauen und mich erkundigen, ob es Eurer Schwester Sol möglich wäre, diese ehrenvolle Aufgabe zu übernehmen. Aber sicher ist sie inzwischen verheiratet und…« Die anderen hatten die Köpfe gesenkt.
»Ihr kommt vergebens«, sagte Dag. »Meine Schwester ist vor achtzehn Jahren gestorben.«
»Ach! Es schmerzt mich, das zu hören. Mein Vater hätte ihr so gerne einen Dienst erwiesen. Es quält ihn, daß er damals so wenig für sie hatte tun können. Ich hoffe doch, ihr Tod steht in keinem Zusammenhang mit dem kleinen Mißverständnis damals in Kopenhagen?«
»Nein, da besteht kein Zusammenhang. Es war vorherbestimmt, daß Sol jung sterben würde, Graf Strahlenhelm. Sie konnte in dieser Welt nicht leben.«
Sie schwiegen, versunken in Erinnerungen. Und der junge Graf Strahlenhelm schien aufrichtig bekümmert über das, was er hier erfahren hatte.
Charlotte sah auf. »Mir geht etwas durch den Kopf, sagte sie. »Wir haben doch eine zweite Sol…«
»Nein, Mutter, wir können unsere junge Tochter nicht nach Kopenhagen schicken«, sagte Dag.
»Warum sollten wir das nicht können? Bei dir ging es doch damals auch. Und Sol - sie fuhr sogar auf eigene Faust. Graf Strahlenhelm, meine Enkelin Cecilie ist achtzehn Jahre alt und ein ausgesprochenes Ebenbild von Sol, aber mit einem ganz anderen, stabileren Gemüt. Ich glaube nicht, daß es ein besseres Kindermädchen für König Christians Kinder gibt. Sie ist ganz vernarrt in kleine Kinder - und im Gegensatz zu Sol durch und durch gutherzig.«
»Aber Sol war doch die gutherzigste Person, die man sich nur vorstellen kann«, sagte der Graf erstaunt.
»Oh, sie hatte auch ihre Schattenseiten«, bemerkte Dag lakonisch.
Im selben Moment fiel die Eingangstür ins Schloß, und in der Halle waren Stimmen zu hören.
»Cecilie, Tarald!« rief Charlotte. »Kommt herein, Kinder, und begrüßt Graf Strahlenhelm, der zu Besuch gekommen ist.
Eine klare Mädchenstimme klang aus der Halle. »Ein Graf? Ist der auch echt?« »Aber Cecilie!« rief Charlotte entrüstet.
Der junge Graf Strahlenhelm erhob sich, als die beiden jungen Leute eintraten. Ein anerkennendes Funkeln blitzte in seinen Augen auf, als er Cecilies schlanke Gestalt erblickte.
»Bei Gott, ich glaube fast, ich erinnere mich an mein Kindermädchen, wenn ich Euch ansehe, Fräulein Cecilie! Obwohl ich noch so klein war. Ihr weckt in mir die Erinnerung an etwas unendlich Schönes und Liebreizendes.« Er beugte sich über ihre Hand und küßte sie. Cecilie nahm die Aufmerksamkeit mit angeborener Natürlichkeit und Anmut hin, obwohl sie so etwas vorher noch nie erlebt hatte.
»Kinder«, sagte Charlotte andächtig. »Graf Strahlenhelm ist gekommen, um Sol als Kindermädchen für König Christians Kinder nach Kopenhagen zu holen. Ich habe statt dessen Cecilie vorgeschlagen, aber deine Eltern protestieren, Cecilie.«
»Das tue ich wahrhaftig auch«, sagte Tarald. »Sie ist doch erst achtzehn.«
»Bald neunzehn«, sagte Cecilie rasch, obwohl es noch mehrere Monate bis dahin waren. »Und ich bin reif für mein Alter.« »Ach ja?« sagte Tarald vieldeutig.
»Oder…« sagte Charlotte nachdenklich, »warum nicht Sunniva?« »Nein«, sagte Tarald hastig. »Nicht Sunniva.«
»Warum denn nicht?« sagte Charlotte wenig taktvoll. Cecilie, die erkannte, daß ihr eine spannende Auslandsreise zu entgehen drohte, sagte schnell: »Sunniva ist zu hilflos, zu einfältig. Sie nimmt die Schläge des Schicksals und der Menschen hin, ohne sich zu wehren. Sie lächelt immer nur lieb und ergeben.« »Jetzt bist du gemein«, fauchte Tarald.
»Nein, überhaupt nicht. Ich stelle nur Tatsachen fest.« Liv
Weitere Kostenlose Bücher