Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
begriffen nicht, daß Cecilie von Grund auf glücklich war. Sie war erwünscht, sie wurde gebraucht, ja, in bestimmten Augenblicken war sie vermessen genug, zu glauben, sie sei unentbehrlich! Solche Gefühle sind für alle Menschen angenehm, und Cecilie war darin keine Ausnahme.
Nur in der stillen, einsamen Nacht war ihr Problem zu spüren …Das unlösbare Problem.
Die Eltern hatten Kolgrim dabei, der sie so sehr vermißt hatte.
Oh, es war wunderbar, sie wieder zu sehen! Cecilie trällerte und lief herum, machte viele überflüssige Schritte, denn ihr Kopf war voll von allem, was sie erzählen wollte, so daß sie vergaß, was sie eigentlich holen sollte. Alexander schaute sie von seinem Stuhl aus zärtlich amüsiert an.
Mutter Liv war wie immer. Herzlich und verständnisvoll und als eine vom Eisvolk länger jung als gewöhnliche Menschen. Aber der Amtsrichter und Baron Dag von Meiden war beträchtlich gealtert. Das schüttere Haar war grau, und er begann sogar die Würde der Beleibtheit zu verlieren, die Cecilie beim letzten Besuch zu Hause so geärgert hatte.
Vater wird alt, dachte sie verzweifelt. Das will ich nicht. Nicht mein lieber, würdevoller Vater, der stets so hingebungsvoll Tarjeis und meinen kleinen Sorgen angehört hat und dann Mutter entscheiden ließ.
45 Jahre waren seit der Nacht vergangen, seit das junge Mädchen Silje die beiden Kinder gefunden hatte, das zweijährige Mädchen und den neugeborenen Säugling, die sie Sol und Dag getauft hatte. In jener Nacht nahm sich Tengel ihrer an. In jener Nacht rettete Silje Heming Vogtmörder, die Geißel des Eisvolkes, vor dem Galgen. Heming …Sols Unglück, Sunnivas Vater und Kolgrims Großvater.
Alle waren jetzt tot - alle, außer Dag und Kolgrim. Liv …Das Resultat von Tengels und Siljes Liebe. Nun waren sie hier, bei Cecilie. Dag, Liv und Kolgrim. Tengels und Siljes zweites Kind, Are, hatte immer außenvor gestanden, fand Cecilie, auch wenn er nach Tengels Tod das Oberhaupt des Eisvolkes war. Von Ares drei Söhnen hatten Trond und Brand nicht sehr viel Ähnlichkeit mit ihr. Nur mit dem ältesten, mit Tarjei, fühlte sie eine enge Verwandtschaft.
Jetzt war Trond nicht mehr. Befallen vom Fluch des Eisvolkes.
In ihr brannte die Trauer über sein Schicksal. Aber vielleicht war es für ihn das Beste, daß das Ganze so schnell gegangen war.
Tengels und Siljes Heim Gut Lindenallee, wo Are nun mit seiner Meta wohnte. Aber der Schwerpunkt war nach Grästensholm verlagert worden, das Dag von seiner Mutter Charlotte von Meiden geerbt hatte. Obwohl es nur Cecilie so empfand, weil sie von sich ausging. Tarjei zum Beispiel betrachtete gewiß Lindenallee als Mittelpunkt der Welt, weil es sein Zuhause war.
Dag und Alexander kamen ausgezeichnet miteinander aus. Es war schön für ihren Mann, mit einem erfahrenen, belesenen Menschen sprechen zu können, dachte Cecilie. Sie selbst unterhielt sich mit ihrer Mutter hauptsächlich über Frauenangelegenheiten, nachdem sie so lange in einer Männerwelt gelebt hatte. Liv war verwundert darüber, ihre Tochter so glücklich vorzufinden, sprach freundlich über Alexander, der ihr sehr sympathisch war. Wie tragisch nur die Sache mit seiner Schußverletzung! Cecilie hatte natürlich seine besonderen Eigenarten nie erwähnt, darin war sie ihrem Mann gegenüber unerschütterlich loyal.
Doch am meisten belegte Kolgrim sie mit Beschlag. Es entsprach der Wahrheit, was Liv geschrieben hatte: Der Junge war brav geworden wie ein Lamm - was Cecilie sehr bezweifelte - und mit seinen eigenartigen Gesichtszügen war er unglaublich faszinierend. Gott stehe den Mädchen bei, die ihm über den Weg laufen, wenn er groß ist, dachte sie oft. Noch immer war etwas von dem Grotesken da, das alle bei seiner Geburt so erschreckt hatte, aber das Grauenhafte war anziehenden, suggestiven Zügen gewichen, so daß Menschen von dem Fremdartigen und Sonderbaren angezogen und gelockt wurden. Seine Augen waren länglich, wie katzengelbe Schlitze, seine Zähne waren etwas spitz und seine Gesichtsform dreieckig, mit breiten Wangenknochen und einem spitz zulaufenden Kinn. Das Haar war schwarz und strähnig, es hing bis auf die Schultern, seine Bewegungen waren geschmeidig, etwas abscheulich und berechnend, fand Cecilie.
Kolgrim betete sie an. Hing von morgens bis abends an ihr. Er sprach nie mehr davon, daß sie das Fest des Großen Trolls besuchen wollten, vielleicht hatte er eingesehen, daß das nur Märchen waren. Aber er konnte stundenlang ihren
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