Die Saga vom Eisvolk 05 - Todsünde
Gott, laß sie nicht lügen, laß sie nicht lügen!« Aber Cecilie war schon weit fort.
»Wilhelmsen«, hörte man sie im Falsett durch das ganze Haus rufen. »Wilhelmsen!«
Innerhalb einer halben Stunde wußte es das ganze Gut. Und alle brachen in Jubel aus.
Doch im Grunde ihrer Seele wußten alle, daß der Kampf noch nicht gewonnen war.
Eine kleine Bewegung, so undeutlich, daß man sie erahnen mußte, in seinem rechten Fuß - das war alles, worüber man in Jubelgeschrei ausbrechen konnte. Die Bediensteten hatten natürlich gewußt, daß Ihre Gnaden einige verrückte Ideen hatte, wie sie seine toten Beine wieder zu Leben erwecken konnte, und viele hatten mitleidig über solche Torheiten den Kopf geschüttelt. Aber jetzt waren alle Bedenken vergessen. Nun sagten sie alle: »Hab ich es nicht gesagt?«
11. KAPITEL
In den nächsten Tagen war von Fortschritten bezüglich Alexanders Bewegungsfähigkeit nur äußerst wenig zu merken. Der Diener war oft anwesend, und Cecilie und er untersuchten Alexanders Füße sorgfältig. Beide waren sie sich einig, daß sie hin und wieder ein kleines Flirren beobachten konnten.
Es gehörte sehr viel Phantasie dazu, es zu erkennen. Aber sie waren beide absolut davon überzeugt. Dann kam der vernichtende Rückschlag.
Etwa zehn Tage nach der ersten kleinen Entdeckung kam Wilhelmsen zu Cecilie.
»Euer Gnaden, mir gefällt ganz und gar nicht, wie der Rücken des Markgrafen heute abend aussieht.« Cecilie erhob sich sofort und begleitete ihn ins Schlafzimmer.
Alexander lag auf dem Bauch, und an seinem Kreuz war ein kleiner, roter Fleck zu sehen. Der schmerze nicht, versicherte er.
»Wir müssen dich überanstrengt haben«, sagte Cecilie besorgt. »Morgen lassen wir die Übung ausfallen.« »Müssen wir das?« murmelte Alexander in seine Hände. »Hast du langsam Gefallen daran gefunden?« fragte Cecilie verwundert, aber Wilhelmsen war ernst: »Ich glaube, es ist das Beste, Euer Gnaden.«
.Aber wenn wir das bereits Gewonnene verlieren?« Welches Gewonnene? dachte Cecilie niedergeschlagen, es ist doch so verschwindend wenig.
Am nächsten Tag war der Rücken stärker gerötet.
Am Tag darauf war er regelrecht angeschwollen. Nun hatte er auch Schmerzen, erklärte Alexander. Die Haut spannte und tat oberhalb der Hüfte weh.
Oh, Gott, dachte Cecilie entsetzt. Was sollen wir nur um? Tarjei! Wenn doch nur Tarjei hier wäre!
An jenem Tag schloß sie sich in ihr Zimmer ein und legte sich aufs Bett.
War sie vielleicht nicht eine vom Eisvolk? Hatte sie nicht viele von Sols Eigenschaften geerbt? So wie Tarjei Tengels Heilfähigkeit und Menschenliebe geerbt hatte. Tengel wie Sol hatten zu den vom Fluch Befallenen gehört. Wäre es da nicht vorstellbar, daß Tarjei und sie, Cecilie, ein Fünkchen ihrer Fähigkeiten mitbekommen hatten? Eins, das jetzt gebraucht wurde?
Es wäre jedenfalls dumm, es nicht zu versuchen. Sie schloß die Augen. Tarjei, Tarjei, Tarjei, dachte sie immer wieder. Wie in einem tiefen Brunnen ging sein Name rund herum, rund herum, tiefer und tiefer, bis ihr Bewußtsein die Erde verließ und unbekannte Tiefen in ihrem Inneren erreichte, wo nur der Gedanke daran, daß Tarjei kommen sollte, existierte.
Derart suggestiv war dieses Gedankenexperiment, daß Cecilie schmählich einschlief!
Im Traum sah sie ein Paar funkelnde Augen voller teuflischen Unheils. Einen lachenden Mund.
Dieses Gesicht hatte sie früher schon einmal gesehen. In der Halle von Lindenallee. Es war Siljes Porträt von Sol, der Hexe, der Cecilie so sehr glich. Cecilie lächelte im Schlaf. Tarjei war in der Tat nicht weit fort.
Als er alles getan hatte, was für die Verwundeten in der Schlacht bei Lutter am Berenberge getan werden konnte, war er sehr, sehr erschöpft. Er wollte nach Hause, es war bald zwei Jahre her, daß er Lindenallee zuletzt gesehen hatte.
Tübingen mußte warten, er hatte keine Kraft mehr, nochmals sein Studium aufzunehmen. Im übrigen hatte er eine Menge handfester Kenntnisse erworben statt die Schulbank zu drücken.
Doch die Heimreise anzutreten, war schwer. Er mußte sich zunächst erholen. Nach einer kurzen Weile des Zögerns begab er sich zu Fuß nach Schloß Löwenstein. Die Versuchung war zu groß gewesen, in Luxus und Verschwendung unter Freunden ausruhen zu dürfen. Zwei Tage kostete es ihn, dorthin zu gelangen. Er hämmerte gegen das große Tor, und wurde von einem freundlichen Torposten eingelassen, der ihn wiedererkannte. Tarjei hatte schließlich sein wehes
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