Die Saga vom Eisvolk 08 - Die Henkerstochter
bekümmertem Blick. Wenn es jemanden in der Familie gab, dem diese abscheulichen Morde zuzutrauen wären, dann Tarald. Aber Yrja hielt fest zu ihm, und sie war von einer Redlichkeit, die ihresgleichen suchte. Hätte sie nur den geringsten Verdacht gegen ihren Mann, dann würde sie ihm helfen, aber auf eine andere Weise. Sie würde ihn dazu bringen, das Böse seines Tuns einzusehen, die Gründe dafür zu erklären und sich für seine Taten zu verantworten. Danach würde sie wie eine Bärin dafür kämpfen, ihn freizubekommen.
Aber wenn Tarald auch weichlich und konturlos war, als Frauenmörder konnte Liv sich ihn nun doch nicht vorstellen.
Nein, dagegen sträubte sie sich absolut. Das, was ihre Gedanken auszudrücken versuchten, war, daß im Unterschied zu ihm alle anderen kraft ihrer Stärke und ihres Charakters über jeden Verdacht erhaben waren. Und allein schon die Tatsache, daß Yrja für ihn bürgte, reichte aus, um ihn reinzuwaschen. Außerdem - Tarald als Werwolf? Undenkbar!
Sie hatte oft über ihre beiden Kinder nachgedacht. Cecilie, die Starke, ein echtes Kind des Eisvolks. Tarald, das hatte sie oft überlegt, schlug wohl nach seinem Großvater, dem Taugenichts Jeppe Marsvin, der die junge Charlotte von Meiden verführt und sich anschließend aus dem Staub gemacht hatte.
»Ja, und für Brand kann ich garantieren«, sagte Matilda mit zaghaftem Lächeln. »Ich gehöre zu denen, die immer genau wissen wollen, wo ihre Lieben sich aufhalten. Also wie er Zeit und Gelegenheit gehabt haben sollte, Frauen umzubringen, wäre mir ein Rätsel.«
Andreas fügte hinzu: »Vor allem, weil er sie ja wohl erst einmal hätte kennenlernen müssen. Ich meine, vier fremde Frauen kommen sicher nicht zufällig an diesen abgelegenen Ort, nur um sich hier ermorden zu lassen?« »Es sei denn, sie sind Hexen gewesen«, sagte Kaleb. »Vielleicht war das ja ein Hexentanzplatz.«
»Nein, also jetzt hört aber auf, sagte Mattias. »Mir wird langsam unbehaglich. Wir haben einen nach dem anderen ausgeschlossen. Und wer bleibt übrig? Ich! Was für eine Verschwörung ist das hier eigentlich?«
Da lachten alle. Mattias als Bösewicht? Nein, das war ganz unmöglich. So liebe, freundliche, harmlose Werwölfe gab es ja gar nicht! Ein Dienstmädchen kam herein.
»Der Vogt ist da«, sagte sie mit furchtsamen Augen. Man ließ ihn hereinbitten.
»Die ganze Sippschaft versammelt, wie ich sehe. Das ist gut, dann brauche ich nicht alle einzeln aufzusuchen.« »Gibt es Neuigkeiten?« fragte Are. »Nur die, daß Hexerei im Spiel ist.« »Das bezweifle ich«, sagte Liv.
»Warum sollten sie sonst diese Knotenschnüre bei sich gehabt haben?«
»Tja, das frage ich mich auch. Es erscheint mir so unbegründet, so hergeholt. Wenn sie wirklich Hexen gewesen wären, müßten sie eine Schnur mit drei Knoten in ihr Haar eingeflochten haben. Das ist das Zeichen für derartige Frauen. Sie behaupten, Satan selbst habe es ihnen auf dem Blocksberg eingeflochten.«
Der Vogt starrte sie an. Erst nach einer ganzen Weile fand er seine Sprache wieder.
»Aber das hatten sie! Alle vier! Und ich dachte, das ist jetzt die neue Haarmode bei Frauen!«
Liv hielt einen Moment den Atem an. »Dann waren sie tatsächlich Hexen! Das wirft natürlich ein neues Licht auf die Sache.«
Die anderen wußten, was sie meinte. Das hieß, daß jemand vom Eisvolk mit der Sache zu tun haben konnte. Ein Erbe des Fluchs hatte den Verlockungen der Zauberei noch nie widerstehen können.
Das war bisher nur Tengel dem Guten gelungen. Liv sah sich im Kreis ihrer Lieben um. Are? Nein. Nichts war ihm so fremd wie das Übersinnliche.
Jemand von den Angeheirateten? Eli, das arme Kind, das bei Gabriella und Kaleb ein gutes, beschütztes Zuhause gefunden hatte? Die Kleine hatte doch Angst vor ihrem eigenen Schatten!
Yrja? Ausgeschlossen. Liv kannte ihre Schwiegertochter so gut wie sich selbst.
Matilda kannte sie nicht ganz so gut, aber die energische Bauersfrau war so erdverbunden, daß sie sogar ihren Mann Brand darin übertraf.
Der Vogt sah die Runde mit strengem Blick an. »Wir wissen alle, daß in dieser Sippe im Laufe der Zeit eine Menge Ungereimtheiten vorgekommen sind. Deshalb habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß einer von Euch hinter diesen Verbrechen steckt. Und ich werde herausfinden, wer!« Liv erhob sich.
»Nein«, sagte sie. »Nein, nein und nochmals nein! Bevor Ihr kamt, Herr Vogt, haben wir genau diese Möglichkeit erörtert, wohl wissend, daß unsere Sippe über
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