Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
jenen entgegenstreckten, die an ihnen vorübereilten.
Die junge, hoch gewachsene Frau im weißen Gewand der Heilerinnen setzte ihren Weg fort, ohne auf die verzweifelten Schreie der Menschen um sie her zu achten. Es brach ihr fast das Herz, das viele Elend mit ansehen zu müssen, ohne helfen zu können. Verzweifelt presste sie das Kind in ihren Armen fest an sich und beschleunigte ihre Schritte, um das Tor am anderen Ende der Festungsstadt zu erreichen, bevor der Feind auch dort einfiel.
Das kleine rothaarige Mädchen verbarg sein Gesicht an der Schulter der Frau und weinte still. Zuerst hatte sie noch geschrien und sich gewehrt. Doch die Frau hielt sie mit eisernem Griff und ließ nicht zu, dass sie sich von ihr losriss.
Mit ihren vier Sommern konnte Ilahja nicht begreifen, was geschah. Eben erst war ihre Mutter aufgeregt in die kleine Schlafkammer gestürzt und hatte sie aus ihrem tiefen Schlaf gerissen. Ohne ihrer verwirrten und verängstigten Tochter etwas zu erklären hatte sie Ilahja eilig dazu gedrängt, einen Mantel über ihr dünnes Nachtgewand zu ziehen und ins Freie zu laufen. Dort hatte die fremde, dunkelhaarige Frau bereits auf sie gewartet und sie sofort auf den Arm genommen. Ilahja konnte die Worte, die ihre Mutter mit der Frau wechselte, nicht verstehen, doch sie spürte deutlich die Furcht in beiden Stimmen. Auch ihre Mutter weinte.
Ein letztes Mal strich sie Ilahja über das lange Haar und gab ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sie hastig ins Haus zurücklief, um Ilahjas ältere Schwester zu holen.
Die fremde Frau drehte sich wortlos um und nahm Ilahja mit sich. Doch das kleine Mädchen wollte nicht fort. Immer wieder schrie sie nach ihrer Mutter und strampelte verzweifelt, um sich zu befreien. Nachdem die Frau einige hundert Schritte gelaufen war, hielt sie plötzlich inne und schaute zurück. Ilahja spürte, dass etwas Schreckliches geschehen sein musste. Sie hatte zu weinen aufgehört und hob den Kopf. Durch einen Schleier aus Tränen erkannte sie das Haus, in dem sie eben noch geschlafen hatte. Helle Flammen schossen aus dem reetgedeckten Dach und verbreiteten sich in Windeseile über das ganze Haus, aus dessen Innern verzweifelte Schreie zu hören waren. Aber niemand eilte den Eingeschlossenen zu Hilfe, denn viele der umstehenden Häuser brannten ebenfalls und die Menschen flüchteten in heller Panik.
Die Frau lief zunächst wieder einige Schritte zurück, blieb jedoch stehen, als das Dach des Hauses mit einer gewaltigen Stichflamme in sich zusammenstürzte. Die furchtbaren Schreie verstummten. Eilig verbarg die Frau Ilahjas Gesicht in ihren schwarzen Locken, um dem Mädchen den entsetzlichen Anblick zu ersparen. Dann fluchte sie leise, drehte sich um und rannte los.
Ilahja wehrte sich nicht mehr gegen die fremde Frau. Teilnahmslos ließ sie alles mit sich geschehen. Das Bild des brennenden Hauses hatte einen festen Platz in ihrer jungen Seele gefunden und ihr kindliches Bewusstsein ahnte bereits, dass sie ihre Mutter und ihre große Schwester niemals wiedersehen würde.
Sie war allein.
Auf ihrem Weg durch das verschlungene Gewirr der Straßen sahen sie noch unzählige brennende Häuser und sterbende Menschen. Aber die gemarterten Sinne des kleinen Mädchens waren taub und ihre Tränen verbraucht. Alles, was nach der Zerstörung ihres Elternhauses geschah, erlebte Ilahja wie im Traum. Sie verspürte keine Furcht. Auch nicht, als sie zum ersten Mal einen der unheimlichen schwarzen Krieger erblickte, die nun immer häufiger zwischen den Häusern auftauchten und die Bewohner der Stadt vor sich hertrieben wie Blätter im Wind…
Ilahja fröstelte. Die grauenhaften Bilder ihrer Kindheit verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren, und über die Straßen wehten nur noch die braunen Blätter.
Mit Einbruch der Dunkelheit hatte der Wind weiter zugenommen und drückte die kalte Herbstluft durch die verwitterten Mauer- und Fensterritzen in die kleine Webstube, deren eiserner Ofen zu dieser Jahreszeit noch nicht beheizt wurde. Ilahja rieb ihre kalten Finger aneinander und versuchte sie zu wärmen, indem sie beide Hände in die Ärmel ihres Hemdes zurückzog. Während sie darauf wartete, dass die Wärme in ihre Finger zurückkehrte, betrachtete sie nachdenklich den halb fertigen Teppich auf dem einfachen, aber großen Webstuhl, der fast das ganze Zimmer ausfüllte. Tha-Ury würde auch diesmal wieder nicht mit ihr zufrieden sein. Wie schon in den vergangenen Sonnenläufen hatte sie auch
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