Die Saga von Thale 01 - Elfenfeuer
wie du ihn bekommen hast?«
»Der Talisman…« Wie von selbst wanderten Ilahjas Gedanken viele Sommer zurück…
Zitternd vor Kälte saß sie als kleines Mädchen auf einem dicken verwitterten Baumstamm. Sein modriges, morsches Holz war an vielen Stellen mit einer dicken Schicht aus dunkelgrünem Moos bewachsen, auf dem sich eine Vielzahl verschiedener Pilze angesiedelt hatte. Ein halbes Dutzend hungriger Schnecken kroch auf der Suche nach der besten Morgenmahlzeit zwischen den Pilzen umher und hinterließ ihre silbernen Spuren auf dem feuchten Moos.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen und das unheimliche Leuchten der brennenden Stadt erhellte noch immer den Himmel im Osten. Zäher grauer Nebel hing zwischen den Bäumen und überdeckte mit seinem üblen Brandgeruch den würzigen Duft des morgendlichen Waldes.
Ilahja fror in ihrem dünnen Nachtgewand. Ihr Mantel war feucht von den unzähligen Wassertropfen, die der Nebel auf den Blättern der Büsche und Bäume entstehen ließ, bis sie wie Regen zur Erde hinabfielen. Die kalten Wassertropfen perlten aus Ilahjas feuchtem Haar und liefen wie Tränen über ihr Gesicht, während sie ohne besonderes Interesse die Schnecken bei ihrer Nahrungssuche beobachtete. Sie wartete. Die junge Frau, auf deren Armen sie die Stadt verlassen hatte, war ein Stück vorausgegangen, um zu sehen, ob der Weg, den sie einschlagen wollte, noch frei war. Sie hatte Ilahja auf dem Stamm abgesetzt und ihr erklärt, dass sie hier sicher sei. Dann hatte sie zu Ilahja gesagt, dass sie ein wenig vorausgehen würde, und ihr streng verboten den Baumstamm zu verlassen, bevor sie zurückgekehrt war.
Es war noch nicht viel Zeit verstrichen, als Ilahja das leise Knacken trockener Zweige hinter sich hörte, doch es schien, als habe sie die Fähigkeit, Furcht zu empfinden, in den Flammen von Nimrod verloren. Selbst als sie die raschen Schritte eiliger Füße in unmittelbarer Nähe vernahm, löste sie ihren Blick nicht von den kleinen, nackten Pilzfressern auf dem Stamm. Erst als sie spürte, dass sich jemand neben sie setzte, drehte sie ihren Kopf langsam ein wenig zur Seite. Zunächst sah sie nur ein weißes Gewand und vermutete, dass die junge Frau schon zurückgekehrt war. Doch auf den zweiten Blick erkannte sie, dass sie sich getäuscht hatte.
Die Frau neben ihr war ebenfalls jung und sehr groß. Aber ihr fein geschnittenes und von langen goldenen Haaren eingerahmtes Gesicht war so wunderschön, dass Ilahja staunend den Mund öffnete. Noch bevor sie etwas sagen konnte, legte die Frau beschwörend ihren Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete dem Mädchen zu schweigen. Dann stand sie auf und hockte sich vor Ilahja hin. »Ich habe ein Geschenk für dich, mein Kind«, sagte sie leise und blickte das Mädchen mit ihren tiefblauen Augen liebevoll an. Ihre Stimme war warm und freundlich und Ilahja empfand sofort große Zuneigung zu ihr. Zunächst war sie sich nicht sicher, ob sie ein Geschenk von der Frau annehmen durfte. Aber dann erinnerte sie sich, dass es ja niemanden mehr gab, der es ihr verbieten konnte.
Die Frau löste ein Lederband von ihrem Hals und zog ein Amulett aus ihrem Gewand hervor. Sie nahm es in die Hand und reichte es dem Mädchen. An dem Lederband hing ein ungeschliffener, orangener Stein von außergewöhnlicher Schönheit. Er war in einen silbernen, kunstvoll verzierten Ring gefasst, auf dessen Oberseite viele geschwungene Schriftzeichen eingraviert waren. Das Amulett war so schön, dass Ilahja zunächst nicht glauben konnte, dass die Frau es ihr wirklich geben wollte.
»Diesen Stein möchte ich dir schenken. Er bringt Glück!«, erklärte die Frau. »Möchtest du ihn haben?«
Ilahja konnte den Blick nicht von dem wunderschönen Anhänger lassen. Sie nickte stumm und die Frau fuhr fort: »Du musst mir aber versprechen, dass du gut auf ihn Acht gibst und ihn immer bei dir trägst.«
Sie legte eine Hand unter Ilahjas Kinn und blickte ihr direkt in die Augen. »Versprich es mir«, verlangte sie freundlich, aber bestimmt. Wieder nickte Ilahja und ließ es zu, dass die Frau das Amulett um ihren Hals legte.
»Von nun an wirst du es stets tragen«, sagte sie feierlich. »Du wirst sehen, es wird dir Glück bringen.« Dann lächelte sie Ilahja an. »Jetzt muss ich dich verlassen, mein Kind.« Sie deutete in Richtung der brennenden Stadt. »Mein Schicksal wird sich dort erfüllen und ich muss mich beeilen, damit ich den armen Menschen an jenem Ort helfen kann.« Nachdenklich
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