Die Salzbaronin
Georgs Abreise hatten sie den größten Teil ihrer gemeinsamen Zeit stets damit verbracht, den Körper des anderen zu erforschen, zu kosen, zu streicheln, zu schmecken. Ohne die Wollust und die Verliebtheit war das frühere Muster von Georgs Besuchen nichts mehr wert. Rosas Körper war von der schweren Geburt geschunden, sie verlor immer noch Blut, so dass ihr der Sinn wahrhaftig nicht nach körperlicher Liebe stand.
Statt dessen musste sie jetzt häufig an die Gräfin von Graauw denken. Elisabeth war seit der Geburt nicht mehr bei ihr gewesen. Sie hatte das Kind genommen und war verschwunden. Zurück in ihr feines Haus, wo es wahrscheinlich zwischen seidenen Laken gebettet lag und mit einem Silberlöffel Milch eingeflößt bekam. Rosa versuchte das Stechen, das von ihren geschwollenen Brüsten ausging, zu ignorieren. Wenn sie das Kind nicht bald anlegte, würde der Milchfluss versiegen.
Es hatte einen Zeitpunkt gegeben, während der Geburt, da hatte Rosa nicht mehr daran geglaubt, von den Händen der verwirrten jungen Frau gerettet zu werden. Und doch: Elisabeth hatte es geschafft, das Kind in ihrem Leib zu drehen und herauszuziehen. Wieviel Kaltblütigkeit musste eine haben, um in solch einem Augenblick die Fassung zu bewahren? Oder hatte Elisabeth in ihrer Verwirrtheit gar nicht mitbekommen, dass Rosas Leben auf des Messers Schneide stand? Und wieviel Kaltblütigkeit musste eine haben, um das Kind mitzunehmen und nicht wiederzukommen?
Es war nicht so, dass Rosa sich viel auf die Beziehung, die sich in den letzten Monaten zwischen ihr und Elisabeth entwickelt hatte, einbildete. Tief drinnen hatte sie immer gewusst, dass sie für die junge Gräfin nicht viel mehr als ein Zeitvertreib war. Warum also, fragte sich Rosa, fühlte sie sich dennoch so von Elisabeth im Stich gelassen?
Sie spürte, wie ihre Kehle eng wurde und etwas in ihr aufwallte, das sie nicht beherrschen konnte. Sie war noch nicht bereit. Vorsichtig, als müsste sie sich selbst schützen, schob sie den Gedanken an Elisabeth und das Kind zur Seite. Für jetzt.
Es gab genug anderes, was durchdacht werden wollte.
Natürlich hatte Georg ihr auch von dem Schachtbrand erzählt und davon, wie er Hand in Hand mit den Rehbachern und Götz und Dorothea versucht hatte, das Feuer unter Kontrolle zu kriegen. Rosa hatte Mühe, sich das vorzustellen. Da hatte Dorothea mehr als sechs Monate nichts anderes getan, als den Rehbachern zu erzählen, welch böser Mensch ihr Bruder sei, und kaum war er zurück, öffneten sie ihren Kreis, damit er sich einreihen konnte! »Wie soll ich je die Menschen verstehen? Oder gibt es im Angesicht einer Katastrophe nichts zu verstehen, weil keine Regeln mehr gelten?« Rosa seufzte. Vielleicht war das der Grund für ihre Not. Keine Regeln.
Er habe keine Zeit gehabt zu fragen, was das Loch neben dem Solebrunnen zu bedeuten hatte. Aber die Aufregung der Leute, ihre angstverzerrten Gesichter hätten ausgereicht, dass er sich in ihre Schlange einreihte, die Wassereimer weiterreichte, vom Brunnen zum Schacht und leer wieder zurück. Er habe Dorothea gesehen, die breitbeinig und an der Seite von Götz Rauber an vorderster Stelle stand - dort, wo die Flammen am heißesten emporschossen -, aber es sei ebenfalls nicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um Fragen zu stellen. Das alles hatte er Rosa mit so betretener Miene erzählt, als ob er es tief drinnen gar nicht mehr für nötig hielt, irgendwelche Fragen zu stellen. Als ob ihm längst alles klar war - zumindest was seine Schwester und Götz anging.
Es war natürlich Hermann Lochmüller gewesen, der das Feuer gelegt hatte. Nicht, dass dies zu beweisen gewesen wäre. Brandstifter brüsteten sich nicht am nächsten Tag mit ihrer Tat, sondern suhlten sich im stillen in den verkohlten Überresten ihres Schaffens. Oder sie verschwanden. So wie Lochmüller. Laut Georg war alles weg: seine wenigen Habseligkeiten, seine Kinder, er selbst. Seine Hütte so leer wie Rosas Bauch. Lochmüller hatte zwar einen Brand gelegt, aber er war nichts im Vergleich zu dem Feuer, das in den Rehbachern brannte! Bei diesem Gedanken wurde es Rosa zum allerersten Mal seit langer Zeit ein wenig leichter ums Herz. All die alten Streithammel, vereint und friedlich. Die ganze Nacht und den nächsten Morgen hatten sie gebraucht, doch dann war die Feuersbrunst gebannt gewesen und der
Schacht ein schwarzes, stilles Loch. Wenn überhaupt, dann hatte Lochmüllers Fluch die Rehbacher noch enger zusammengebracht, als dies
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