Die Samenhändlerin (German Edition)
von polierten Granitsteinen. Andere Frauen waren schmallippig oder hatten wulstige Lippen, die ordinär wirkten – Seraphines Mund aber strahlte eine Sinnlichkeit aus, die die Männer seufzen ließ. Und ihre Statur erinnerte an die eines edlen Pferdes – langbeinig, feingliedrig, mit perfekten Proportionen.
Seraphine wusste, dass manche im Dorf sie hinter vorgehaltener Hand als eitles Ding bezeichneten. Aber Eitelkeit war verwerflich, das predigte der Herr Pfarrer. Seraphine wusste nur, dass ihre Schönheit etwas Besonderes war – und zudem das Einzige, was sie auf dieser Welt besaß. Darauf sollte sie sich etwas einbilden?
Versonnen fuhr Seraphine mit dem Zeigefinger der rechten Hand die Konturen ihrer Lippen nach. Sofort begann die weiche Haut zu prickeln. Bald, bald würde sie wie eine schlafende Prinzessin wachgeküsst werden. Von ihrem Prinzen. Von Helmut. Dessen Familie zu den reichsten in Gönningen gehörte. Den sie liebte, seit sie denken konnte.
Seraphine ließ Nadel und Faden sinken. Ein tiefer Seufzer erfüllte den Raum. Wenn es nur schon so weit wäre …
Jahre hatte sie gewartet, manchmal mehr, manchmal weniger geduldig, aber stets wissend, dass irgendwann einmal der Tag kommen würde. Der Tag, an dem der Irrtum rückgängig gemacht werden würde, durch den sie bei ihrer Geburt in dieser elenden Hütte gelandet war. Für Seraphine stand fest, dass es sich um eine Art »Verwechslung« handelte. Sogar ihr Vater hatte einmal eine entsprechende Bemerkung gemacht.
»Man sagt, wenn die Feen den Menschen einen Wechselbalg in die Wiege legen, sind das ganz hässliche Geschöpfe. Bei uns hat die Fee bestimmt einen Fehler gemacht. Sie haben das hässliche Entlein mitgenommen und dich hineingelegt!« Und dann hatte er gelacht, so laut gelacht, als habe er dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen!
So hatte Seraphine von Kindesbeinen an geglaubt, eine Fee habe sie gebracht. Doch im Laufe der Zeit war sie zu einer weiteren Überzeugung gekommen: Die Fee musste einen schicksalhaften Fehler begangen haben! Vielleicht war die Sternenfee durch einen besonders grell funkelnden Stern geblendet worden, als sie die Säuglinge verteilte. Deshalb hatte sie nicht erkennen können, in welch armseliges Gemäuer sie ihre ganz besondere Tochter gelegt hatte. So musste es gewesen sein, davon war Seraphine überzeugt. Ihr Aussehen, der ungewöhnliche Name, den ihr Vater von einer Reise mitgebracht hatte – zum Ärger der Patentante Gertrud, die ihren Namen hatte vererben wollen –, die glockenklare Stimme, mit der Seraphine ihre Lieder sang … Bedurfte es weiterer Hinweise, dass sie für etwas anderes, etwas Besseres bestimmt war? Diese Sicherheit hatte sie bisher alles ertragen lassen.
Doch nun, wo der Tag keine drei Wochen mehr entfernt lag, war ihre Geduld erschöpft. Sie konnte es nicht mehr erwarten, endlich in Helmuts Armen zu liegen. Ihr Prinz, ihr Retter. Dersie herausholen würde aus der Armut, der sie auf Händen tragen würde. Helmut und sie, vereint als Mann und Frau.
Leidenschaft wallte in ihr auf. Warm und unberührt. Seraphine spielte kurz mit dem Gedanken, auf einen Sprung hinüber zum Haus der Kerners zu gehen, doch dann fiel ihr ein, dass Helmut erwähnt hatte, heute Abend finde das Treffen der Gönninger Samenhändler mit den Ulmer Gärtnern statt. Bestimmt waren er und Valentin und der alte Herr bereits in der »Sonne«.
Es war schon seltsam. Das ganze Jahr über machten die Gönninger aus ihren Einkaufsquellen ein großes Geheimnis. Jeder wollte die zuverlässigsten Samenzüchter und Gärtner für sich behalten. Doch wenn die Ulmer kamen, saßen alle einträchtig an einem Tisch. Sie musste Helmut einmal fragen, warum das so war.
Im nächsten Moment fiel Seraphines Blick wieder auf das Kleid. Vergessen waren die Ulmer Gärtner und das seltsame Geschäftsgebaren der Gönninger Händler. Sie hatte heute gar keine Zeit, Helmut zu sehen!
Resolut nahm sie die Spitze in die Hand und erschrak, als sich das dünne Bündel auseinander faltete. Nur noch so wenig? Das würde nie und nimmer für drei Bahnen rund um den Rocksaum reichen!
»Hoffentlich denkt Vater an die Spitze, die er mir mitbringen soll«, sagte sie.
»Dazu muss er erst einmal heimkommen«, brummte Else Schwarz. »Fast alle Männer sind schon zurück, nur Friedhelm lässt auf sich warten. Wieder einmal! Ich möchte nicht wissen, was ihn heuer aufgehalten hat.« Mit verkniffenen Augen starrte sie aus dem Fenster, als erwarte sie,
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