Die Sanddornkönigin
was Sie mir hier nun unterstellen, entbehrt jeder Vernunft.« Thore Felten hatte sichtlich Mühe, sich auf dem Platz zu halten, sein Verhalten schwankte zwischen unterdrücktem Zorn und aggressiver Demut. Er schien alle Register zu ziehen, um dieser Situation so schnell wie möglich zu entkommen. »Und es ist mir auch egal, was Sie meinen mitangehört zu haben. Fakt ist, dass meine Frau mich hier vor allen Leuten zum Vollidioten gemacht hat. Sie verschwindet zwei Tage lang, und ich vergehe vor Sorge um sie. Und dann taucht sie so mir nichts dir nichts auf, als wenn nichts gewesen wäre, noch dazu in einem Kleid, das Ronja Polwinski auf den Leib geschneidert wurde, und konfrontiert mich mit Vorwürfen, dass ich sie angeblich aus böser Absicht in die Klapsmühle einweisen lassen wollte. Wie hätten Sie denn reagiert, Kommissar Sanders? Vernünftig und besonnen? Hätten Sie ganz ruhig geantwortet: ›Nein, mein Liebling, du irrst dich, ich habe niemanden in den Wahnsinn getrieben und auch niemanden getötet…?‹ Ich bitte Sie, Herr Kommissar, machen Sie sich nicht lächerlich.«
»Herr Felten, der Verdacht gegen Sie bestand schon, bevor ich das Gespräch zwischen Ihnen und Ihrer Frau zu hören bekam.« Sanders war es langsam Leid, das Gespräch drehte sich im Kreise. Er hoffte inständig, dass Tydmers endlich käme, er hatte mehrere Leute darum gebeten, nach ihr zu suchen. Nur sie konnte dem leidigen Verhör einen neuen Impuls geben, er gab es nur ungern zu, aber ihre weibliche Ader konnte ihm in diesem Moment von Nutzen sein.
Thore Felten erhob sich ruckartig von seinem Sessel, seine Stirn glänzte schwitzend, und Sanders meinte, hektische Flecken in seinem Gesicht erkennen zu können.
»Ich werde hier keine Sekunde länger sitzen bleiben.«
»O doch, das werden Sie!«
»Hören Sie, machen Sie Ihre Arbeit gründlich und lassen Sie mich die meine tun. In meinem Speisesaal sitzen hundertachtzig geladene Gäste, die von ihrem Gastgeber erwarten, dass er sie erstklassig betreut. Und von Ihnen wird erwartet, dass Sie den Mörder von Ronja Polwinski erwischen. Da ich nicht der bin, den Sie suchen, lassen Sie mich gehen, und erledigen Sie endlich Ihren Job.« Er ging zur Tür, erst zögernd, doch ohne sich umzublicken. Als er sicher war, dass niemand ihn aufhalten würde, beeilte er sich, die Chance wahrzunehmen.
»Warum haben Sie ihn gehen lassen?«, fragte Britzke.
»Wohin sollte er flüchten?«
»Sie hätten ihn verhaften können nach all dem, was Sie gehört haben.«
Britzke hatte einerseits Recht, andererseits hatte er die Situation nicht wirklich durchschaut. Es wäre möglich gewesen, Thore Felten jetzt und hier festzuhalten und ihn zu verhören, bis ihm die Nerven blank lagen und er gestand. Doch eleganter war es, ihn so weit zu bringen, dass er von selbst über seine eigenen Nerven strauchelte. Die »Sanddorntage«, das plötzliche Auftauchen seiner Frau, die immer enger werdenden Verstrickungen, dies alles würde er nicht mehr lange ertragen können, und wenn er, Sanders, nur im richtigen Moment an Feltens Seite auftauchen würde, dann wäre das Geständnis vor Gericht doppelt so viel wert wie eines, das nach stundenlangem Verhör fast lustlos zu Protokoll gegeben wurde.
»Keine Sorge, Kollege, wir werden ihn heute noch in Handschellen abführen«, sagte er zu Britzke, der ihn mit ungläubigem Blick anstarrte. »Was im Moment viel wichtiger ist: Wo steckt Wencke Tydmers?«
Hauptgang
L angsam wurde Hilke panisch. Sie hatte Wencke das Versprechen gegeben, dem Kollegen Bescheid zu sagen, doch sie konnte dieses Versprechen nicht einlösen. Sie war wie gelähmt. Das Zittern von heute Morgen hatte sich verschlimmert, schon als sie neben Thore auf der Bühne gestanden hatte, konnte sie den Tremor, der von ihren Händen bereits auf beide Arme übergegriffen hatte, kaum unterdrücken. Sie hatte an diesem Aperitif nur genippt, doch der Alkohol hatte ihren Zustand allem Anschein nach verschlimmert. Der Gang durch die Hintertür bis in ihr Nähatelier war eine Tortur für sie gewesen, jeder kleine Schritt bedeutete für Hilke eine enorme Anstrengung. Dann, schon während des Gespräches, war ihr die Kontrolle über den eigenen Körper entglitten. Sie hatte es Wencke nicht gesagt, doch als diese den Raum verließ, saß Hilke apathisch auf dem Schneidertisch und beobachtete hilflos ihre Muskeln, die hemmungslos zu zittern begonnen hatten. Sie musste an die Tabletten kommen, um Gottes willen, sie musste eine dieser
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