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Die Sanddornkönigin

Die Sanddornkönigin

Titel: Die Sanddornkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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hob den Kopf wieder an, sie hatte nicht geweint, sie sah makellos aus, noch nicht einmal ihre Haare waren in Unordnung. Wie hatte jemals ein Mensch von ihr denken können, sie wäre verrückt?
    »Du musst Fokke verhaften. Er hat es getan.«
    Die beiden Frauen schauten sich an. Wencke zweifelte nicht einen Moment an der Wahrheit, die lediglich auf einem Gefühl, auf einer Intuition beruhte, die noch nicht einmal ihrem eigenen Bauch entstammte. Sie wusste, diese Frau hatte etwas gesagt, das ihr schwerer fiel als eine Verleumdung, mit der sie ihren Mann hätte strafen können.
    Sie hatte ihren eigenen Sohn verraten. Es blieb keine Zeit, sie zu trösten.
    »Hilke, bitte sag meinem Kollegen Sanders Bescheid, er soll in die Küche kommen, sofort! Ich habe ihn vorhin bei deinem Mann gesehen. Sag ihm, ich brauche dringend seine Unterstützung.« Wencke ließ sie in dem kleinen Raum zurück und hoffte, dass sie ihr ein klein wenig Stärke zurückgelassen hatte.
    Sie rannte den Gang hinunter, obwohl ihre Beine schwer waren und sie sich selbst gern ein wenig Zeit gelassen hätte, bevor sie die Tür zur Küche öffnete.
    Dahinter war die Luft heiß und feucht, sie konnte im ersten Moment kaum eine Gestalt ausmachen, doch dann erkannte sie weiß gekleidete Menschen, die zwischen den kantigen Küchenelementen in alle Richtungen hasteten, alle schienen einer einvernehmlichen Ordnung zu gehorchen, es wurde sich geduckt, wenn ein anderer mit schweren, fettspritzenden Pfannen über die Köpfe hinweg hantierte, man drängte zur Seite, wenn dampfende Töpfe von der Größe eines Kleinkindes zum Abgießen gewuchtet wurden, fast ohne Worte funktionierte diese Welt. Wencke konnte darin kein System erkennen, sie fühlte sich hin und hergeschoben, obwohl sie noch immer am Eingang und dicht an die Wand gedrängt stand.
    Dann entdeckte sie Fokke. Er war der Dirigent. Seine Augen schienen überall zu sein, und mit seinen beiden Händen vermochte er in diesem Moment wohl zehn verschiedene Handgriffe zu verrichten. Er war präsent, er war bis in die letzte Sehne genau bei dieser Sekunde, in der er die schalenförmigen weißen Suppentassen mit sämiger Suppe gefüllt mit den Fingern nur zu überfliegen schien. Ein kleines Bild schien er darauf zu pinseln, ein wenig Grün und Orange, eine Skulptur nach oben ziehend, ein Teller um den anderen wie viele kleine Noten in einer Partitur, fast identisch aussehend ergaben sie für sich und als Gesamtheit einen Einklang.
    »Weg, weg, weg«, rief er nur kurz und nicht laut, fast hatte er es noch nicht ausgesprochen, da waren die Teller von einer anderen Hand davongetragen, er war nur einen Meter weiter gerückt und dirigierte erneut.
    »Weg, weg, weg.«
    »Fokke.«
    Die Hände hielten für den Bruchteil einer Sekunde inne. »Wencke.«
    »Wer ist die Schnepfe? Raus mit ihr«, eine Stimme schien sich zu überschlagen.
    »Sie können Herrn Cromminga jetzt nix stören, auf gar keine Fall.« Die kleine dunkelhaarige Polin trat auf sie zu und wollte sie hinausschieben.
    »Marietta, ist schon in Ordnung.« Fokke schaute nicht auf, er verlor nicht den Rhythmus und nicht die Ruhe. »In drei Minuten, Wencke. Geh nach hinten durch.«
    »Bist du verrückt, Chef? In drei Minuten? Wir stehen kurz vorm Hauptgang!«
    Wencke zögerte nur kurz, dann schob sie sich an der Wand entlang. Sie versuchte, zum Gefrierhaus zu gelangen. Ein Kellner fluchte, als sie ihm für einen kurzen Augenblick in die Quere kam, er ging weiter zu einem Tisch, auf dem die Suppen abgestellt wurden, fasste mit jeder Hand zwei der bauchigen Teller und trug sie davon. Eine junge Frau kam ihm entgegen und tat es ihm gleich, so ging es wie in einem unhörbaren Takt hinein und hinaus, einer um den anderen, sie beobachtete das Treiben und hatte schon nach kurzer Zeit den Überblick verloren, wie oft jede Bedienung nun schon an ihr vorbeigehastet kam. Sie kamen mit angespannten Blick und verließen die Küche kerzengerade mit einem Lächeln auf den Lippen, keiner schwitzte, keiner war außer Atem, keiner wurde langsamer oder schneller, fast wie Aufziehpuppen.
    Dann blieb der Tisch leer, keiner kam mehr durch die Tür, es schien ein kurzer Moment einzutreten, in dem alle still standen. Dem war natürlich nicht so, es wie ging ein Ruck durch die Menschen, die in dieser Küche standen, jemand hatte den Hebel umgelegt, Kochgeschirr wurde fortgetragen, und neue Töpfe und Pfannen fanden ihren Platz auf dem Feuer. Auf einmal stand Fokke neben ihr. Seine Augen

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