Die Sanddornkönigin
pro Minute verbrauchte. Das Ergebnis war niederschmetternd. Wenn sie nicht bald aus dieser finsteren Zelle befreit würde, dann würde sie ersticken… wenn sie nicht bereits vorher zu Eis gefroren war. Schlechte Aussichten. Wieder musste sie an Ronja Polwinski denken, dann dachte sie an Axel Sanders und dass er dann wohl den Chefsessel besetzen würde, wenn sie tot war. Es war ein absurder Gedanke, es war unwichtig, unsinnig und absolut daneben, so etwas zu denken. Aber es war der letzte Gedanke, bevor sie einschlief.
Er musste umdenken. Der Seeteufel war bereits rausgegangen, und sein Körper war in vollem Einsatz, den Fasan auf die Teller zu bringen. Doch sein Kopf war bereits beim Dessert. Ein Fehler, das wusste er. Wenn er nicht mit voller Konzentration den Fond ablöschte und daraus die Sauce zog, dann war es nicht dasselbe, dann konnte ihm ein Missgeschick passieren, eine Prise zu viel Thymian, eine zu herbe Note Rotwein, sein Triumph basierte auf schmalem Grat. Er durfte nicht zu hastig vorgehen, ein Fehltritt wäre programmiert. Doch er war aus dem Gleichgewicht geraten.
»Hey, Fokke, zieh nicht so ein Gesicht. Es läuft wunderbar«, rief Gunnar ihm zu. »Ich habe gerade ein Gespräch aufgeschnappt, wenn mich nicht alles täuscht, ist dir ein Stern sicher!«
Warum war für ihn der Weg nach oben immer gekappt? Wenn alles zum Greifen nahe war, wenn das Glück endlich auf seiner Seite zu sein schien, dann stürzte immer alles zusammen. Er war ein glückliches Kind gewesen, zwar ohne Vater, aber er hätte seiner Mutter doch so viel geben können, sie hätten es so schön haben können… bis Thore Felten kam. Und als »Die Auster« weit über die norddeutschen Grenzen hinaus von Lobeshymnen überschüttet wurde, da stand er so kurz davor, sein Restaurant in die schwarzen Zahlen bringen zu können… bis der Gerichtsvollzieher kam, von Thore Felten geschickt. Das kurze Glück mit Ronja, die erste Ahnung von Familie…
bis ihm ein guter Freund erzählte, dass sie mit Thore Felten ins Bett ging. Schlimmer noch war es gewesen, als sie letzte Woche mit einem breiten Grinsen in die Küche gekommen war und ihm diese verhängnisvolle Mappe auf den Tisch gelegt hatte.
»Wir werden das Lokal hier schon zum Renner machen, das schwöre ich dir«, hatte sie gesagt, ein ahnungsloses Lächeln hatte sie ihm geschenkt, als sie ihm das Todesurteil für seine Ziele überließ. Schon nach den ersten Seiten hatte er gewusst, dass er handeln musste. Sie hatte eine Reise nach Hannover geplant, wollte dort mit einem Unternehmensberater die Details für ihre Idee von einem Büffetrestaurant durchsprechen, dann wollte sie die Pläne Thore Felten unterbreiten. Sein Kopf hatte rotiert, der Stress um das kaputte Kühlhaus hatte ihn bereits an den Rand des Erträglichen gebracht. Und dann war alles so einfach gewesen, es hatte sich nahezu von selbst so ergeben. Er hatte sie mit guter Miene zum bösen Spiel auf eine kleine Weinprobe in die Küche eingeladen. Er fände die Idee mit dem Büffetrestaurant sehr reizvoll und bei dieser Gelegenheit könne man ja näher darüber sprechen.
»Fokke, mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich dachte, an dir beiße ich mir die Zähne aus. Auf unseren gemeinsamen Weg zum Erfolg«, hatte sie gesagt, dann hatte sie mit ihm angestoßen und den Rotwein fast mit einem Zug geleert. Er brauchte gar nicht so lange zu warten, bis sich die Wirkung des Beruhigungsmittels in ihrem Körper auszubreiten schien. Soweit er sich zu erinnern vermochte, waren ihre letzten Worte: »Ich vertrage einfach keinen Rotwein, aber er schmeckt so wunderbar.« Dann hatte sie sich auf der Küchenbank lang gemacht, war so schnell weggetreten, dass er sein Glas nicht einmal mehr zu Ende trinken konnte. Er trug sie in das neue Gefrierhaus, die Temperaturen hatten ihren Tiefstand noch nicht erreicht, er hatte es erst vor zwei Stunden angestellt, doch Ronja Polwinski würde sicher noch eine Weile schlafen.
Und jetzt war es wieder so weit, er hatte sich die Seele wund gekocht, er hatte hundertachtzig Gourmets dazu gebracht, die Teller leer zu essen, er brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und Thore Felten würde endlich seine gerechte Strafe erhalten… und dann war ihm alles aus den Händen geglitten. Er mochte Wencke Tydmers, er hielt sie für eine verständige Frau, warum konnte sie nicht nachvollziehen, was in ihm vorging? Konnte sie ihm nicht diese eine Chance lassen, dieses eine Mal?
Er hatte sie doch auch unterstützt,
Weitere Kostenlose Bücher