Die sanfte Entfuehrung des Potsdamer Strumpftraegers
bezweckt, das war sozusagen die Belohnung für seine Mühen mit unserem Haus und die Arbeit im Laden – meine Idee. Sogar sein Reisezielvorschlag wurde direkt von uns genehmigt, weil wir uns selbst nämlich überhaupt nicht einigen konnten. Er wollte schon immer mal hierher, meinte er, es gäbe hier eine gute progressive Musikszene. Ich selbst hatte das europäische Festland sowieso noch nie verlassen, mir war alles recht außer das Zehnbettzimmer in einem Hostel. Tja, so kam das.
Jetzt haben wir in dieser angemieteten energieeffizienten Glashütte mit bester Aussicht für ein paar Wochen das volle Luxusprogramm, feiern reichlich, unternehmen Ausflüge, und auf einem Konzert von Etiennes Lieblingsband waren wir auch schon. Ich habe kein Wort verstanden, ich glaube sowieso, die Leute hier sprechen eine Fantasiesprache.
In der Landeswährung sind wir Multimillionäre. Wenn wir zusammenlegen, besitzen wir fast eine halbe Milliarde. So schnell kann man Geld vermehren, man muss nur mal woanders hinfliegen.
Etienne fungiert nun sozusagen als unser Butler. Das war meine einzige, winzige Bedingung dafür, ihn mitzunehmen. Einmal im Leben wollte ich auch mal selbst bedient werden, und ihm machte es überhaupt nichts aus, er fand den Deal fair. Aber der Dienstleister in mir ist nicht kleinzukriegen. Ein bisschen Sehnsucht nach meinem Laden habe ich schon. Hoffentlich läuft alles. Gemüse-Achim hat spontan meine Vertretung übernommen. Ich kann mir jetzt sogar seinen Namen merken. Der Supermarkt ist also vermutlich grade ein Liebesnest.
Etienne schiebt das Wägelchen herein, auf dem die schon fertig gemixten Drinks stehen. Unseren Getränkegeschmack nach Tageszeit kennt er inzwischen sehr gut. Rodrigo stellt er einen Kirschbananensaft mit Eiswürfeln und Strohhalm auf die antike Kommode neben der Massageliege. »Señor!«, sagt Rodrigo.
Ich bekomme einen Moscow Mule mit Gurkenscheibe, nippe und attestiere Etienne ganz hohe Bartenderqualitäten. Wenn er mal aus dem Modelalter raus ist, hat er sehr gute Zukunftsaussichten. Heidi hat seine Nummer, sie wird sich bald bei ihm melden wegen einem Fotojob, hat sie ihm auf unserer Party versprochen. Das war der Inhalt des Getuschels.
Momentan mache ich mir doch so langsam Sorgen, ob etwas aus unseren Abendplänen wird. Alles hängt von der sechsten Person im Raum ab, die noch weniger auffällt als die bewegungslos daliegende Katja, obwohl sie gerade am härtesten arbeitet: der Fernsehtechniker. Unser Deutsch sprechender Hausverwalter hat ihn nach einem panischen Anruf von mir herbestellt, und der Mann, ich fand das auf die beste Weise unfassbar, stand eine Viertelstunde später auf der Matte. Ich war ziemlich irritiert, weil er eben gar nicht wie ein Fernsehtechniker aussah, sondern eher wie George Clooney. Das Erste, was mir in den Sinn kam, als ich die Tür aufgemacht habe, war: Den könnten wir doch gleich dabehalten, gäbe sicher ordentlich Lösegeld. Dann hat er auf das Emblem an seiner Jacke gezeigt, ein Fernseher mit einem Elektroblitz drüber, und die Sache war klar. Ich habe versucht, ihm zu erklären, was wir genau vermissen, aber er schien schon gut instruiert, ging zielstrebig Richtung Neunzig-Zoll-Flatscreen, und seitdem macht er dort irgendwas. Doch die Zeit wird knapp. Das Wer-wird-Millionär -Prominentenspecial beginnt in fünf Minuten. Und es ist nicht irgendeines, es ist wirklich ein besonderes. Das letzte Jubiläum, also das 25. Promi-Special gab es am 22. November 2012, das weiß ich aus dem Effeff, natürlich, aber für uns ist diese Ausgabe sehr viel aufregender. Verständlich, oder? Das Promi-Special ist der Staffelauftakt, die erste Folge seit Wochen, wir werden Günther Jauch wiedersehen.
Und wir sehen Günther Jauch wieder! Der Fernseher läuft! Richtiges Programm. Der Vorspann startet.
»Ja!«, rufe ich und balle die Faust.
Katja schaut auf, wirkt etwas benebelt und sagt: »Schön.«
»Señorita?«, sagt Rodrigo.
Etienne setzt sich in den dritten Schaffellsessel und wirkt sehr zufrieden. Sogar Herr Müller zieht die Mundwinkel hoch.
Der Fernsehtechniker nickt mir zu, ich greife in die Tasche, ziehe ein Geldbündel heraus und halte es ihm hin. Er nimmt es, zählt sich vier Scheine heraus und gibt mir den Rest zurück. Er nickt noch einmal und geht dann, ohne das kleinste Geräusch zu verursachen.
Katja schlurft durch den Raum und kuschelt sich zu Herrn Müller in seinen Sessel. Rodrigo tut das, was er immer tut, wenn er beschäftigungslos ist. Er
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