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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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sie plumpsten in Luftlöcher. Die Wüste schlingerte unter ihnen, und der Gastarbeiter, der in Qatar zugestiegen war, klammerte sich an sein riesiges Transistorradio und begann zu würgen.
    Chamcha sah, dass der Mann sich nicht angeschnallt hatte, riss sich zusammen und sprach wieder im arrogantesten englischen Tonfall. »Wollen Sie nicht vielleicht…«, deutete er, aber der Mann, dem übel war, schüttelte den Kopf, während er sich in die Papiertüte übergab, die Sala din ihm gerade noch rechtzeitig gereicht hatte, zuckte die Achseln und antwortete: »Sahib, wozu? Wenn Allah will, dass ich sterbe, dann sterbe ich. Wenn er es nicht will, dann nicht. Wozu dann der Sicherheitsgurt?«
    Verdammtes Indien, fluchte Chamcha in sich hinein und sank in seinen Sitz zurück. Hol dich der Teufel, ich bin deinen Klauen vor langer Zeit entkommen, mich kriegst du nicht mehr in die Finger, dir geh’ ich nicht mehr ins Netz.
    Es war einmal - es war und es war nicht so, wie es im Märchen hieß, es geschah und es geschah nicht - vielleicht also, oder vielleicht auch nicht, fand ein zehnjähriger Junge aus Scandal Point in Bombay eine Brieftasche, die vor seinem Haus auf der Straße lag. Er kam aus der Schule und war eben dem Schulbus entstiegen, in dem er eingezwängt zwischen den klebrigen, schwitzenden Jungen in kurzen Hosen hatte sitzen und sich von ihrem Geschrei hatte betäuben lassen müssen, und da er bereits zu jener Zeit jemand war, der vor Grobheit, Gedränge und dem Schweiß von Fremden zurückschreckte, empfand er nach der langen, holprigen Heimfahrt eine leichte Übelkeit. Als er jedoch die schwarze Lederbrieftasche zu seinen Füßen liegen sah, verflog diese Übelkeit sofort, und er beugte sich aufgeregt hinunter und griff zu, öffnete sie und entdeckte zu seinem Entzücken, dass sie voller Bargeld war, und nicht nur Rupien, sondern echtes Geld, eintauschbar auf Schwarzmärkten und internationalen Börsen - englische Pfund!
    Pfund Sterling, aus dem Großen London im sagenhaften Land Vilayet jenseits des schwarzen Wassers, in weiter Ferne.
    Verwirrt von dem dicken Bündel ausländischer Geldscheine blickte der Junge hoch, um sich zu vergewissern, dass ihn niemand beobachtet hatte, und einen Augenblick lang schien ihm, ein Regenbogen hätte sich vom Himmel zu ihm herabgewölbt, ein Regenbogen wie der Odem eines Engels, wie ein erhörtes Gebet, der genau dort die Erde berührte, wo er stand. Seine Finger zitterten, als sie in die Brieftasche tauchten, in den sagenhaften Schatz.
    »Her damit.« Später schien es ihm, als hätte ihm sein Vater während seiner ganzen Kindheit nachspioniert, und obwohl Changez Chamchawala ein gro ßer Mann war, ein Riese, ganz zu schweigen von seinem Reichtum und seiner Bedeutung im öffentlichen Leben, war er doch stets leichtfüßig und dazu geneigt, sich von hinten an seinen Sohn heranzuschleichen und ihm alles zu vergällen, was er gerade tat, dem jungen Salahuddin nachts das Leintuch wegzureißen und den schändlichen Penis in der ihn krampfhaft umklammernden roten Hand aufzudecken. Und er konnte Geld auf eine Entfernung von hundertundeiner Meile riechen, selbst durch den Gestank von Chemikalien und Kunstdünger hindurch, der ihn beständig umgab, da er der größte Erzeuger von Insektiziden und Kunstdünger im Lande war. Changez Chamchawala, Philanthrop, Schürzenjäger, Legende zu Lebzeiten, führender Kopf der nationalistischen Bewegung, sprang aus dem Eingangstor seines Hauses, um aus der entmutigten Hand seines Sohnes eine dicke Brieftasche zu ziehen. »Ts, ts«, rügte er und steckte die Pfund Sterling in seine Tasche. »Du sollst doch nichts von der Straße aufheben. Der Boden ist schmutzig, und Geld ist noch schmutziger.«
    Neben einer zehnbändigen Ausgabe von Richard Burtons Übersetzung von Tausendundeine Nacht, die langsam vom Moder und vom Bücherwurm zerfressen wurde, was dem tief verwurzelten Vorurteil gegen Bücher anzulasten war, das Changez dazu bewog, Tausende der schädlichen Dinger zu erwerben, um sie dann zu demütigen, indem er sie ungelesen verrotten ließ, stand in einem Regal in Changez Chamchawalas mit Teakholz getäfeltem Arbeitszimmer eine Wunderlampe, ein glänzend poliertes, aus Kupfer und Messing getriebenes Ebenbild von Aladins ureigenstem Geisterbehälter: eine Lampe, die danach verlangte, dass man an ihr rieb. Aber weder rieb Changez an ihr, noch gestattete er, dass an ihr gerieben wurde, zum Beispiel von seinem Sohn. »Eines Tages«, versicherte er

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