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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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mit einer Fassung, die wie Elfenbein aussah. Sein Finger krümmte sich, krümmte sich wie ein Angelhaken mit Köder, komm. Als Salahuddin bei ihm angelangt war, packte ihn der andere, legte ihm eine Hand über den Mund und zwang seine kleine Hand zwischen alte und fleischlose Beine, damit sie den Fleischknochen dort betastete.
    Der Dhoti offen im Wind. Salahuddin hatte sich nie zu wehren gewusst ; er tat, wozu er gezwungen wurde, und dann wandte sich der andere einfach von ihm ab und ließ ihn gehen.
    Danach kehrte Salahuddin nie mehr zu den Felsen am Scandal Point zurück; auch erzählte er niemandem, was passiert war, da er wusste , dass es bei seiner Mutter neurasthenische Krisen auslösen würde, und er vermutete, dass sein Vater behaupten würde, es sei seine eigene Schuld gewesen. Es schien ihm, als hätte sich alles Ekelerregende, alles, was er mittlerweile an seiner Heimatstadt verabscheute, in der beinernen Umarmung des Fremden gesammelt, und nun, da er diesem bösen Skelett entkommen war, musste er auch Bombay entkommen - oder sterben. Er begann, sich grimmig auf diesen Gedanken zu konzentrieren, seinen Willen ununterbrochen darauf zu richten, beim Essen, Scheißen, Schlafen, sich davon zu überzeugen, dass er das Wunder auch ohne die Wunderlampe seines Vaters herbeiführen konnte. Er träumte, dass er aus seinem Schlafzimmerfenster flog und entdeckte, dass dort, unter ihm, nicht Bombay lag, sondern das Große London, Bigben Nelsonsäule Lordstavern Bloodytower Queen. Aber während er über der großen Metropole schwebte, merkte er, wie er an Höhe verlor und, wie heftig er sich auch abmühte um sich schlug herumruderte, er bewegte sich doch in Spiralen auf die Erde zu, erst langsam, dann schneller und schneller, bis er kopfüber auf die Stadt zukreischte, Saintpauls, Puddinglane, Threadneedlestreet, drei zwo eins null, hinunter auf London wie eine Bombe.
     
    Als das Unmögliche geschah und sein Vater ihm aus heiterem Himmel eine Ausbildung in England offerierte, um mich aus dem Weg zu haben, dachte er, warum denn sonst, das ist ganz klar, aber einem geschenkten Gaul und so weiter, lehnte es seine Mutter Nasreen Chamchawala ab zu weinen und bot ihm statt dessen unauf gefordert hilfreiche Ratschläge an. »Werd’ nicht so ein Ferkel wie die Engländer«, mahnte sie ihn. »Sie wischen sich den Allerwertesten nur mit Papier ab.
    Außerdem benutzen sie ein und dasselbe Badewasser mehrmals.« Diese gemeinen Verleumdungen waren für Salahuddin der Beweis, dass seine Mutter ihr Möglichstes tat, um ihn am Weggehen zu hindern, und trotz ihrer Liebe zueinander antwortete er: »Das kann ich mir nicht vorstellen, Ammi. Die Engländer sind ein zivilisiertes Volk, was redest du da, Quatsch.«
    Sie lächelte ihr schnelles, nervöses Lächeln und widersprach nicht. Und stand später trockenen Auges unter dem Triumphbogen von einem Portal und war nicht bereit, ihn zum Flughafen von Santacruz zu begleiten. Ihr einziges Kind. Sie legte ihm Blumenketten um den Hals, bis ihn von den unangenehmen Düften der Mutterliebe schwindelte.
    Nasreen Chamchawala war eine überaus zarte, zerbrechliche Frau, mit Knochen wie Tinkas, wie winzige Holzsplitter. Um ihre körperliche Bedeutungslosigkeit auszugleichen, verlegte sie sich schon in jungen Jahren darauf, sich mit geradezu empörender, maßloser Begeisterung zu kleiden. Die Muster ihrer Saris waren erstaunlich, nahezu abstoßend: zitronengelbe Seide mit riesigen Brokatrauten verziert, schwindelerregende schwarz-weiße Op-Art-Wirbel, enorme Kuss lippen auf strahlend weißem Grund. Die Leute verziehen ihr den schauerlichen Geschmack, weil sie die blendenden Gewänder mit großer Unschuld trug, weil die von dieser Textilkakophonie ausgehende Stimme so dünn und zaudernd und schicklich war. Und wegen ihrer Soireen.
    Jeden Freitag ihres Lebens als Ehefrau füllte Nasreen die Säle des Hauses Chamchawala, diese Gemächer, die für gewöhnlich düster waren wie große, leere Grabgewölbe, mit hellem Licht und spröden Freunden. Als Salahuddin ein kleiner Junge war, hatte er darauf bestanden, den Türsteher zu spielen, und er begrüßte die juwelenbeladenen und pomadisierten Gäste mit großer Ernsthaftigkeit und gestattete ihnen, ihm den Kopf zu tätscheln und ihn Schätzchen und Goldkind zu nennen. Fre itags war das Haus voller Lärm; Musiker waren da, Sänger, Tänzer, die neuesten Hits aus dem Westen, wie man sie aus Radio Ceylon kannte, wurden gespielt, vulgäre Puppenspiele

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