Die Satanischen Verse
vierzig, der einen Nichtraucherplatz am Fenster innehatte und zusah, wie seine Geburtsstadt wie eine alte Schlangenhaut von ihm abfiel, einen erleichterten Ausdruck über sein Gesicht huschen zu lassen. Dieses Gesicht war gut aussehend auf eine etwas verdrießliche, aristokratische Art, mit langen, wulstigen, an den Mundwinkeln nach unten gezogenen Lippen wie die eines angewiderten Steinbutts und schmalen Augenbrauen, die sich spitz über Augen wölbten, die die Welt mit wachsamer Verachtung betrachteten. Mr. Saladin Chamcha hatte dieses Gesicht mit Sorgfalt gestaltet - er hatte mehrere Jahre gebraucht, bis es genau richtig saß - und seit noch viel längerer Zeit hatte er es einfac h als sein ureigenstes angenommen - ja, er hatte vergessen, wie er vorher ausgesehen hatte. Überdies hatte er sich eine Stimme zugelegt, die zu diesem Gesicht passte , eine Stimme, deren schleppende, fast träge Vokale in beunruhigendem Gegensatz zu der abgesägten Abruptheit der Konsonanten standen. Die Kombination von Gesicht und Stimme war überzeugend; aber während seines kürzlichen Besuchs in seiner Heimatstadt, des ersten Besuchs nach fünfzehn Jahren (genau die Zeit, sollte ich vielleicht erwähnen, seit Farishta ein Filmstar war), hatten merkwürdige und besorgniserregende Entwicklungen stattgefunden. Unglückseligerweise war es der Fall, dass seine Stimme (als erstes) und in der Folge auch sein Gesicht angefangen hatten, ihn im Stich zu lassen.
Es begann - Chamcha, der seinen Fingern und Daumen eine Ruhepause zugestand und etwas verlegen hoffte, dass sein letzter Rest von Aberglauben von den anderen Passagieren unbemerkt geblieben war, schloss die Augen und erinnerte sich mit einem leisen Schauder des Entsetzens - auf seinem Flug nach Osten vor einigen Wochen. Hoch über der Wüste um den Persischen Golf war er in einen dumpfen Schlaf gesunken, und im Traum war ihm ein sonderbarer Fremder erschienen, ein Mann mit einer Haut aus Glas, der mit den Knöcheln traurig an die dünne, zerbrechliche Membran klopfte, die seinen ganzen Körper umgab, und Saladin bat, ihm zu helfen, ihn aus dem Gefängnis seiner Haut zu befreien. Chamcha hob einen Stein auf und begann, auf das Glas einzuschlagen. Augenblicklich sickerte ein Gitterwerk von Blut durch die zersprungene Körperoberfläche des Fremden, und als Chamcha versuchte, die Glasstücke zu entfernen, begann der andere zu schreien, da sich mit dem Glas Fleischklümpchen ablösten. In diesem Augenblick beugte sich eine Stewardess über den schlafenden Chamcha und fragte ihn mit der erbarmungslosen Freundlichkeit ihrer Profession: Etwas zu trinken, Sir? Ein Getränk?, und Saladin erwachte aus seinem Traum und merkte, dass seine Sprechweise auf unerklärliche Weise den singenden Tonfall von Bombay angenommen hatte, den er sich so gründlich (und vor so langer Zeit!) abgewöhnt hatte. »Achha, was heißt das?«, murmelte er. »Alkoholische Getränke oder was?« Und als die Stewardess ihm versicherte, was Sie wollen, Sir, alle Getränke sind gratis, vernahm er nochmals seine verräterische Stimme: »Na gut, Bibi, geben Sie mir einen Whisky Soda.«
Was für eine unangenehme Überraschung! Er war auf den Schlag wach, saß stocksteif in seinem Sitz und ließ Alkohol und Erdnüsse unbeachtet. Wie war es möglich, dass die Vergangenheit wieder aufstieg, in Form gänzlich veränderter Vokale und Vokabeln? Was kam als nächstes? Würde er sich Kokosnuss öl in die Haare schmieren? Würde er seine Nasenflügel zwischen Daumen und Zeigefinger zusammendrücken, sich geräuschvoll schnäuzen und einen klebrigen Silberbogen Schleim produzieren? Würde er ein glühender Anhänger des Profiringens werden? Welche teuflischen Erniedrigungen standen ihm noch bevor? Er hätte wissen müssen, dass es ein Fehler war, nach Hause zu gehen, nach so langer Zeit, wie konnte es etwas anderes sein als ein Rückschritt; es war eine widersinnige Reise, ein Leugnen der Zeit, eine Auflehnung gegen die Geschichte; das Ganze musste unweigerlich mit einer Katastrophe enden.
Ich bin nicht ich, dachte er, als ein leichtes Flattern in seiner Herzgegend einsetzte. Aber was heißt das schon, fügte er bitter hinzu. Schließlich, »les acteurs ne sont pas des gens«, wie der großtuerische Schauspieler Frederic in Die Kinder des Olymp erklärte hatte. Masken über Masken, dann plötzlich der nackte bleiche Schädel.
Das Signallämpchen für den Sicherheitsgurt leuchtete auf, die Stimme des Kapitäns warnte vor Turbulenzen,
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