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Die Satanischen Verse

Die Satanischen Verse

Titel: Die Satanischen Verse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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dem Jungen, »wird sie dir gehören. Dann kannst du reiben, soviel du willst, und sehen, was dir nicht alles zufällt. Jetzt aber gehört sie mir.« Die Aussicht auf die Wunderlampe infizierte Master Salahuddin mit der Vorstellung, dass seine Schwierigkeiten eines Tages enden und seine geheimsten Wünsche in Erfüllung gehen würden, er musste sich nur gedulden; aber dann ereignete sich der Vorfall mit der Brieftasche, als das Wunder des Regenbogens für ihn gekämpft hatte, nicht für seinen Vater, sondern für ihn, und Changez Chamchawala hatte den Geldschatz gestohlen. Nach dieser Begebenheit gelangte der Sohn zu der Überzeugung, dass sein Vater alle seine Hoffnungen zunichtemachen würde, wenn er ihm nicht entkäme, und von dem Augenblick an wollte er um jeden Preis fortgehen, fliehen, ganze Ozeane zwischen sich und den großen Mann bringen.
    In seinem dreizehnten Lebensjahr hatte Salahuddin Chamchawala begriffen, dass er für jenes kühle Vilayet voll der knusprigen Pfund-Sterling-Verheißungen bestimmt war, das die Zauberbrieftasche angedeutet hatte, und er wurde zusehends unzufriedener mit jenem Bombay voller Staub, Vulgarität, Polizisten in kurzen Hosen, Transvestiten, Filmbegeisterter, Menschen, die auf Gehsteigen schliefen und den berüchtigten singenden Huren der Grant Road, die als Anhängerinnen des Yellamma-Kults in Karnataka angefangen und hier als Tänzerinnen in den prosaischeren Tempeln des Fleisches geendet hatten. Er hatte genug von Textilfabriken und Stadtbahnen und dem heillosen Durcheinander und der Maßlosigkeit dieser Stadt, und er sehnte sich nach jenem gelassenen und gemäßigten Traum-Vilayet, das ihn nun Tag und Nacht verfolgte. Seine Lieblingsabzählreime waren solche, die sich nach fremden Städten sehnten: Kitschi-Kon-Kitschi-Ki-Kitschi - Kon - stanti - i - Kitschi - ope l - Kitschi - Kopel - Kitschi - Kon -stanti-nopel. Und sein Lieblingsspiel war »Großmutter, wie weit darf ich reisen?« besonders wenn er es war, der den sich leise nähernden Spielkameraden den Rücken zukehrte und wie ein Mantra, wie einen Zauberspruch die sechs Buchstaben seiner Traumstadt herunterleierte, Ellohenn Deeohenn. Im geheimen schlich er sich auf leisen Sohlen a n London an, Buchstabe um Buchs tabe, genau wie seine Freunde sich an ihn anschlichen. Ellohenn Deeohenn London.
    Die Verwandlung von Salahuddin Chamchawala in Saladin Chamcha begann, wie sich zeigen wird, im alten Bombay, lange bevor er den Löwen v on Trafalgar nahe genug kam, um sie brüllen zu hören. Als die englische Kricketmannschaft im Brabourne-Stadion gegen Indien spielte, flehte er um einen Sieg der Engländer, darum, dass die Erfinder dieses Spiels die heimischen Emporkömmlinge besiegten, damit die rechtmäßige Ordnung der Dinge aufrechterhalten blieb. (Aber aufgrund der verhätschelten Schläfrigkeit des Brabourne-Stadion-Spielfelds endeten die Spiele stets unentschieden; das große Problem, Erfinder gegen Nachahmer, Kolonisten gegen Kolonisierte, musste notgedrungen ungelöst bleiben.)
    In seinem dreizehnten Jahr war er alt genug, um auf den Felsen von Scandal Point zu spielen, ohne dass seine Ayah Kasturba ihn beaufsichtigte. Und eines Tages (es war so, es war nicht so) schlenderte er aus dem Haus, diesem riesigen, verfallenden, salzverkrusteten Gebäude im Parsi-Stil - überall Säulen und Fensterläden und kleine Balkone - und durch den Garten, der der Stolz und die Freude seines Vaters war und der bisweilen im Abendlicht den Eindruck erwecken konnte, grenzenlos zu sein (und der auch voller Geheimnisse war, ein ungelöstes Rätsel, weil niemand, weder sein Vater noch der Gärtner, ihm die Namen der meisten Pflanzen und Bäume nennen konnte), und durch das Haupttor hinaus, eine prunkvolle Unsinnigkeit, ein Nachbau des römischen Triumphbogens des Septimus Severus, und quer über den rasenden Irrsinn der Straße, über die Kaimauer und schließlich bis zu der weiten Fläche glänzender schwarzer Felsen mit den kleinen Tümpeln voller Krabben. Sittsame Mädchen kicherten in Röcken, Männer mit zusammengerollten Schirmen standen schweigend da, den Blick auf den blauen Horizont gerichtet. In einer Höhle aus schwarzem Stein sah Salahuddin, wie sich ein Mann in einem Dhoti über einen Tümpel beugte. Ihre Blicke trafen sich, und der Mann winkte ihn mit einem Finger zu sich, den er dann auf den Mund legte. Pst, und das Geheimnis der Felsentümpel zog den Jungen hin zu dem Fremden. Er war ein Geschöpf aus Knochen. Trug eine Brille

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