Die Satanischen Verse
rätselhafte Manat - das Gesicht abgewandt, die Absichten geheimnisvoll - die Sand durch die Finger rinnen lässt ; sie ist zuständig für das Schicksal, die Schicksalsgöttin; und schließlich die Höchste der drei, die Muttergöttin, die die Griechen Lato nannten. Ilat nennt man sie hier, oder, häufiger, Al-Lat. Die Göttin. Schon ihr Name macht sie zu Allahs Gegenstück und stellt sie ihm gleich. Lat die Allmächtige. Mit plötzlich erleichtertem Ausdruck wirft sich Baal vor ihr auf den Boden. Abu Simbel bleibt stehen.
Die Familie des Grandes, Abu Simbel - oder, um genauer zu sein, die Familie seiner Frau Hind - überwacht den berühmten Tempel der Lat am Südtor der Stadt. (Sie kassiert auch die Einnahmen des Temp els der Manat am Osttor und des Tempels der Uzza im Norden.) Diese Privilegien bilden die Grundlage des Reichtums des Granden, daher ist er natürlich, so sieht es Baal, der Diener der Lat. Und des Satirikers Ergebenheit dieser Göttin gegenüber ist in Jahilia wohlbekannt.
Das war es also, was er gemeint hat! Zitternd vor Erleichterung bleibt Baal zu den Füßen seiner Schutzpatronin liegen und dankt ihr. Diese blickt ihn gütig an; doch auf die Miene einer Göttin ist kein Verlass . Baal hat einen schwerwiegenden Fehler begangen.
Ohne Vorwarnung tritt der Grande dem Dichter in die Nieren.
In dem Augenblick angegriffen, da er sich sicher wähnt, schreit Baal auf, wälzt sich herum, und Abu Simbel folgt ihm und tritt weiter auf ihn ein. Man hört eine Rippe brechen. »Du lächerlicher Knilch«, bemerkt der Grande mit weiterhin leiser und freundlicher Stimme, »fistelstimmiger Zuhälter mit winzigen Eiern. Hast du gedacht, der Herr über Lats Tempel würde sich als dein Freund bezeichnen nur wegen deiner pubertären Leidenschaft für sie?« Und weitere Tritte, regelmäßig, systematisch. Baal weint zu Abu Simbels Füßen. Das Haus des Schwarzen Steins ist beileibe nicht leer, aber wer würde sich zwischen den Granden und seinen Zorn stellen? Unvermittelt hockt sich Baals Peiniger hin, packt den Dichter an den Haaren, reißt seinen Kopf hoch und flüstert ihm ins Ohr: »Baal, sie war nicht die Herrin, die ich meinte«, und daraufhin bricht Baal in grässliches Heulen voll Selbstmitleid aus, weil er weiß, dass er sein Leben verwirkt hat, wo er doch noch so viel erreichen könnte, der arme Kerl. Der Grande streift mit den Lippen sein Ohr. »Stinkende Scheiße eines feigen Kamels«, haucht Abu Simbel, »ich weiß, dass du meine Frau vögelst.« Mit Interesse registriert er, dass Baal eine nicht zu übersehende Erektion bekommen hat, ein ironisches Denkmal seiner Angst.
Abu Simbel, der gehörnte Grande, steht auf und befiehlt:
»Auf die Beine«, und Baal, verwirrt, folgt ihm ins Freie.
Die Gräber von Ismail und seiner Mutter Hagar, der Ägypterin, liegen an der Nordwestseite des Hauses des Schwarzen Steins, in einer von einer niedrigen Mauer umgebenen Einfriedung . Abu Simbel nähert sich diesem Bereich, bleibt ein wenig entfernt davon stehen. In der Einfriedung befindet sich eine kleine Gruppe von Männern. Der Wasserträger Khalid ist dabei und irgend so ein Tippelbruder aus Persien, der auf den ausländischen Namen Salman hört, und die Dreifaltigkeit des Abschaums wird vervollständigt durch den Sklaven Bilal, den Mahound freigekauft hat, ein riesiges schwarzes Monster mit einer Stimme, die seiner Größe entspricht. Die drei Müßiggänger sitzen auf der Mauer der Einfriedung. »Dieses Gesindel«, sagt Abu Simbel. »Sie sind deine Zielscheibe. Schreibe über sie; und über ihren Anführer.«
Trotz seiner Angst kann Baal seine Ungläubigkeit nicht verbergen. »Grande, über diese Schafsköpfe - diese verdammten Hanswurste ? Ihretwegen braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Was glaubt Ihr denn? Dass Mahounds einziger Gott Eure Tempel in den Bankrott treiben wird?
Dreihundertsechzig gegen einen, und der eine soll gewinnen?
Unmöglich.« Er kichert, der Hysterie nahe. Abu Simbel bleibt ruhig: »Spar dir die Beleidigungen für deine Verse.« Der kichernde Baal kann sich nicht bezähmen. »Eine Revolution von Wasserträgern, Einwanderern und Sklaven… ach, Grande.
Da fürchte ich mich wirklich.« Abu Simbel sieht den kichernden Dichter prüfend an. »Ja«, antwortet er, »da hast du recht, du solltest dich fürchten. Mach dich bitte ans Schreiben, und ich erwarte, dass diese Verse dein Meisterstück werden.« Baal sackt zusammen, jammert. »Aber, mein geringfügiges Talent an sie
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