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Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)

Titel: Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Millar
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Sechs
    »Und wenn er in den stillen, kalten Nächten die Schnauze zu den Sternen reckte und sein langes Wolfsgeheul ausstieß, dann waren es seine längst gestorbenen, zu Staub verfallenen Vorfahren, die die Schnauzen zu den Sternen reckten und durch die Jahrhunderte mit seiner Stimme heulten.«
    Jack London, Der Ruf der Wildnis
    »Jetzt ist es nicht mehr weit, Max«, sagte der Mann und tätschelte dem Hund den Kopf, ehe er seine Wanderschaft zum Black Mountain auf dem Weg fortsetzte, den sie Mountain Lonely nannten. Wenige Minuten später überquerte er Hatchet Field – so getauft, da die Umrisse an eine alte Streitaxt erinnerte – und ließ den Hund von der Leine, obwohl ein Warnschild das strikt untersagte.
    »Na los, Max! Guter Hund!«
    Der Hund schoss wie eine Gewehrkugel davon und bellte vor Aufregung.
    Keine dreißig Minuten später erreichte der Mann schließlich den Gipfel des Black Mountain und genoss mit einem Pentacon-Cobra-Fernglas die spektakuläre Aussicht auf Belfast.
    »Herrlich!«, rief er aus, drehte sich langsam im Kreis, erblickte Donegal in der Ferne und danach Schottland, die Küste Englands und die Isle of Man, und das alles mit einem einzigen Panoramaschwenk. »Wo sonst in der Welt könnte man an einem Mittwochmorgen so eine Aussicht genießen, was, Max?«
    Max bellte einmal, als er die Stimme seines Herrchens hörte, dann trank er hastig aus einem dünnen Rinnsal, das von dem Berg herabfloss. Sekunden später nahm der Hund blitzschnell die Jagd auf eine bunte Schar verlauster Kaninchen auf, die sich an diesem schönen Vormittag etwas frühmorgendlichen Gruppensex gönnten.
    »Max! Obacht, Junge! Lauf nicht zu weit weg.«
    Unvermittelt blieb der Hund wie angewurzelt stehen, erstarrte regelrecht und knurrte einen kleinen Erdhügel an, in den sich eines der Kaninchen gerettet hatte. Plötzlich sträubten sich die Nackenhaare des Hundes beunruhigend.
    »Max! Zum Teufel, komm jetzt wieder her!«
    Der sonst so gehorsame Hund reagierte nicht.
    »
Max!
Komm hierher!«
    Max wird alt
und
taub
, erklärte sich der Mann das ungewöhnliche Verhalten des Hundes.
    Als er näherkam, heulte Max, schnupperte am Boden und fuhr zurück, als hätte er mit der Nase etwas Heißes berührt.
    »Max? Ich habe jetzt keine Zeit für deinen Unsinn mit den Kaninchen.«
    Max hörte nicht mehr auf zu bellen und scharrte mit den Pfoten im Erdreich.
    »Max! Hörst du jetzt auf damit? Sieh nur, in was für einem Zustand du …«
    Plötzlich stoben ganze Fliegenschwärme – mit grünlich-transparenten Flügeln – wütend in die Höhe, dem Mann ins Gesicht, und einige gerieten ihm sogar in Mund und Hals.
    »Mistviecher!«, brüllte er und erstickte fast an der schwarzen Brut. Die Fliegen schmeckten nach Exkrementen und rohem Fleisch. Er verspürte einen Brechreiz, wehrte sich aber tapfer dagegen. »Dreckige Mistviecher!«
    Max bellte noch lauter.
    »Max! Verdammt, geh weg von …«
    Genau im richtigen Augenblick kam die Sonne ins Spiel; ihre Strahlen fielen auf etwas Weißes, das in der dunklen Erde versteckt lag.
    »Was um alles in der Welt …?«
    Der Mann bedeckte den Mund mit einer Hand und kratzte mit der Schuhspitze Erde weg. Der Boden war weich und schwammig und bot dem Stiefel keinen Widerstand. Die aufgeworfene Erde hatte einen vage metallischen Geruch; der Mann musste an faulende Zwiebeln denken.
    Zuerst hielt er das Weiße für die Scherbe eines Tellers oder einer Tasse, Überreste eines Picknicks. Erst, als er noch mehr Erde entfernt hatte, sah er die Wahrheit.
    »Großer Gott …«
    Das Gesicht war hinter einer Maske aus Laub und Sand verborgen. Der Schädel war so ausgebleicht, dass die Schatten in seinen Konturen pechschwarz wirkten; Zähne und Kiefer ragten in dem dunklen Höllenloch der Sonne entgegen. Das Fleisch – so weit noch vorhanden – sah winterlich blass und stellenweise gelblich aus, wie Hartkäse in einem dunklen Schrank. Farblose Augenhöhlen klafften in dem schwarzen Gefängnis.
    Plötzlich ging der Mann in die Knie, als wollte er beten, und übergab sich heftig.
    Der Mann war kein Experte, doch während er in seinem nachtschwarzen Albtraum würgte, schloss er aus den Spangen an den Zähnen, dass es sich um den Schädel eines Kindes handeln musste, das kaum älter als zehn Jahre war.

Kapitel Sieben
    »Er kennt den Tod bis in das Mark.«
    W.B. Yeats, Tod
    »Hallo, Tom«, sagte Karl, der an der Tür des Büros seines besten Freundes stand, des Gerichtsmediziners Tom Hicks.
    »Karl?

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