Die satten Toten: Ein Fall für Karl Kane (Band 2) (German Edition)
Oberarme. Nur eine davon schien von einem Profi zu stammen. Besonders detailliert: ein pausbäckiger Engel mit einer Spritze in den Flügeln, die sie in scharfe Klingen verwandelte, von denen Blut tropfte. »Hell’s True Angel«, lautete die Legende direkt unter den Füßen des Engels.
So zierlich Cathy auch wirkte, schienen ihre muskulösen Arme für Klammergriffe geeignet, und es schauderte Karl bei dem Gedanken, mit dem Kopf in ihren Schwitzkasten zu geraten.
In dem Zimmer roch es feucht und rostig. Ein vages Aroma von Urin und übel riechenden Chemikalien, die wie faule Eier in Farbverdünner stanken, durchdrang alles.
»Hallo«, sagte Karl und hielt Cathy die Hand hin. »Mein Name ist …«
»Ich
kenne
deinen Namen und weiß, warum du hier bist. Was
genau
willst du?«, fragte Cathy, die Karls Hand geflissentlich übersah. Sie drehte eine Eieruhr um und sah verträumt zu, wie der Sand rieselte und die untere Hälfte füllte. »Ich würde sagen, du hast keine zwei Minuten mehr.«
»Man sagte mir, Sie könnten mir vielleicht bei meinen Ermittlungen helfen. Michael meinte, Sie …«
»Michael kann Hunger ertragen, aber schweigen war stets reine Folter für ihn. Er kann einfach nicht sein Plappermaul halten. Ist es nicht so, Michael?«
Michael antwortete nicht, sondern schlurfte betreten davon und ließ Cathy und Karl allein.
Cathy sah Michaels schwindendem Schatten nach, während Karl kahle Stellen auf Cathys Kopf auffielen.
»Weil zahllose Flaschen darauf zertrümmert wurden«, sagte Cathy, der Karls Blick nicht entging, fast blasiert. »Die Verletzungen haben Spuren hinterlassen, wo nie mehr Haare wachsen. Hübsch, nicht?«
»Ich wollte nicht aufdringlich sein.« Trotz der hässlichen Narben sah Karl, dass Cathy einmal außergewöhnlich schön gewesen sein musste.
»Hier hast du dein Foto wieder«, sagte Cathy, stand langsam auf und ließ ihr Haar über ihre Schultern fallen. »Ich mag weder dein Aussehen noch deinen Geruch. Du stinkst nach Bulle.«
»Bullen sind das genaue Gegenteil von mir.
Persona non grata
ist der Ausdruck, den die für mich haben.«
Cathy sah Karl einige Sekunden lang ins Gesicht. »Wie heißt sie, das Mädchen auf dem Foto?«
»Martina. Martina Ferris.«
Cathy gähnte wie eine träge Katze. »Sie sagte, ihr Name wäre Angela Reilly. Sie kam vor ein paar Wochen hier reinspaziert und wollte sich ›anpassen‹. Sie machte auf mich nicht den Eindruck, als könnte sie sich irgendwo anpassen, schon gar nicht in
dieser
Welt.«
»Sie haben sie nicht aufgenommen?«
»Dies ist mein Reich.«
»Mir ist aufgefallen, dass keine anderen Frauen hier sind.«
»Das ist besser für die Familie. Es würde die Männer verwirren. Ganz gleich, wie sie aussehen, ihr Testosteron haben sie noch. Und deshalb schweifen ihre Gedanken in die Dunkelheit ab, und sie werden geil.«
»Ich verstehe.« Karl hüstelte verhalten. »Fühlen Sie sich von den vielen Männern hier nicht bedroht?«
Einen Moment lang leuchtete ein Flackern in Cathys grünen Augen auf. Ihr Gesicht wirkte kurz verkrampft, doch sie entspannte sich ebenso schnell wieder. Plötzlich stand sie unmittelbar vor Karl, ihr Gesicht dicht vor seinem, den Mund verführerisch geöffnet. Ihr Atem roch nach alter Medizin. Zum ersten Mal bemerkte Karl die Metallstifte in ihrer Zunge. Er musste an silberne Pilze denken.
»Sehe ich aus, als ließe ich mich leicht einschüchtern?«
»Ganz und gar nicht, Cathy. Das war eine dumme Frage. Sie müssen mir verzeihen. Ich bin berüchtigt dafür, dass ich dumme Fragen stelle.«
»Gut. Freut mich, dass wir uns verstehen«, antwortete Cathy und warf einen Blick auf die Eieruhr. »Ich glaube, deine Zeit ist abgelaufen,
Karl
.«
»Was ist mit Martina? Können Sie mir noch etwas sagen? Sie könnte in Gefahr sein.«
»Dafür, dass du –
angeblich
– kein Bulle bist, bist du ausgesprochen hartnäckig. Was springt für dich dabei raus?« Cathy strich mit einem spitzen Fingernagel über Karls Wange. Strich am Kieferknochen entlang. »Schickst du sie auf den Strich? Ist deine fette Gans, die goldene Eier legt, aus ihrem Käfig geflohen und hat dich beschissen?«
»Nichts dergleichen. Ich will mich nur vergewissern, dass sie unversehrt ist.«
Cathys Fingernagel wanderte zu Karls Mund und fuhr dessen Konturen nach.
»Sie sagte, dass sie runter nach Dublin wollte, einen Freund suchen, der in einer Art Krankenhaus arbeitet«, sagte Cathy. »Und jetzt geh. Die Besuchszeit ist zu Ende.«
Kapitel
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