Die Sau und der Mörder
und jetzt begehen
Sie den Fauxpas, Grutz und Vaganz auf eine Stufe zu stellen. Ebenso gut könnten
Sie das gemeine Gänseblümchen mit der stolzen Rose in einem Atemzug nennen .« Mannmannmann, war ich hier eigentlich bei den Serapions-
oder bei den Sensibelbrüdern?
»Leider habe
ich noch nichts von Grutz gelesen«, erwiderte ich mit sanfter Stimme. Einer
musste ja in diesem Affenstall die Ruhe bewahren.
»Das sollten
Sie aber, Herr Nannen, das sollten Sie! Grutz hat die Lyrik der neunziger Jahre
revolutioniert. Er ist, bis auf meine Wenigkeit, der bedeutendste Poet, den
Dülmen hervorgebracht hat .«
Mich
wunderte, dass niemand Cellerts Eigenlob störte. Vielleicht lag es daran, dass
er mit der Geschwindigkeit eines Wasserfalls sprach.
»Ich trage
Ihnen jetzt ein Gedicht von Hermann Grutz vor. Dann können Sie sich selbst ein
Urteil bilden. Es heißt strauchdunkel.
strauchdunkel,
lila, die berge
bluten gen
firmament, der stachel
wirbt
gegen Verletzung, es klingelt
darin am
abend, das nichts nichtzt,
das sein
zum nichts, wiederum nichts,
der
blutegel spuckt dich zu, nichtsend.
trocken,
versandet,
das brett
hinter dir verschläft
die
stunden unten im meer, milchiges
priel
schmatzt in der wäschetrommel,
steingequassel
oben, klafft ins gefels,
leuchtende
vergänglichkeit, morgen mittag,
morgen,
morgen, morgen, morgen.
Nun, was halten Sie davon ?«
Was sollte
ich davon halten? Mir persönlich gefiel strauchdunkel genauso gut wie Xtras Pennälerverse. Wenn man Grutz für diesen Sermon den
Eichendorffpreis verliehen hatte, war es um die zeitgenössische Lyrik arm
bestellt. Aber ich war sowieso eher prosaisch veranlagt, traf mich fundamentale
Selbsterkenntnis wie ein Blitzschlag.
»Die
Verbindung von moderner Existenz in Rückgriff auf Heideggers Seinsbegriff wurde
hervorragend herausgearbeitet. Chapeau, Hermann. Aber kommen wir jetzt zu
meinem Spezialgebiet: Herr Vaganz hat erwähnt, dass Grutz sich bei den
Recherchen zu seinem neuen Roman >Die Gestohlene Prostata< viele Feinde
gemacht haben soll. Halten Sie das für wahrscheinlich ?«
»Ich kenne
dieses Buch nicht«, wurde Strass allmählich wieder ruhiger. Die anderen
pflichteten ihm bei.
»Und warum
glauben Sie dann, dass der Selbstmord keiner war ?« ,
wandte ich mich direkt an Augustus.
»Ich wüsste
keinen Grund, warum Hermann des Lebens überdrüssig geworden sein soll. Er hatte
keine finanziellen Sorgen, besaß eine ihn abgöttisch liebende Freundin und
erfuhr in unserer Gemeinschaft die ihm gebührende Anerkennung .«
»Wie kommt
Vaganz dann dazu, mir von einem Buch über Organhandel zu erzählen ?«
»Möglicherweise
handelt es sich dabei um das Werk, an dem Hermann vor seinem Tod gearbeitet
hat. Mit uns hat er nie über seine Belletristik gesprochen. Vielleicht hat er
sich mit Anton darüber unterhalten. Erstaunlicherweise waren die beiden die
besten Freunde. Ganz im Vertrauen: Wir vermuten, dass Hermann ihn zum Intimus
erkoren hat, weil dieser am wenigsten mit ihm konkurrieren konnte .«
»Dann muss
ich Vaginowski wohl erneut löchern, falls er überhaupt noch mit mir redet«, sah
meine Zukunft nicht rosig aus. Ein Fluch auf meinen Hang zur Ehrlichkeit.
»Darüber
würde ich mir keine grauen Haare wachsen lassen .« Hein
schien immer zu grinsen, wenn über Vaganz geredet wurde. »Nach jeder Lesung
rennt er beleidigt hinaus. Zum Glück oder besser zum Unglück legt sich sein
Ärger schnell. Er kann es sich halt nicht leisten, die einzigen Leute zu
verlieren, die sich sein Gesülze noch anhören .«
Da es den
Anschein hatte, dass hier nichts Brauchbares mehr zu erfahren war, erhob ich
mich: »Vielen Dank für den Einblick in das Wirken der Serapionsbrüder. Meine
Herren! Ich werde Sie auf dem Laufenden halten .«
Strass
begleitete mich zur Tür, da der Gastgeber gerade auf dem Lokus weilte. Ich
konnte es ihm nicht verdenken, mir war das Ganze auch auf den Magen geschlagen.
»Sie dürfen
mir das Missverständnis von vorhin nicht übelnehmen. Ich hege halt eine
Abneigung gegen Leute, die sich ihrer Klassenzugehörigkeit nicht bewusst sind«,
klopfte er mir auf die Schulter.
»Schon okay.
Was sind Sie von Beruf? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie von der
Dichtung leben können .«
»Da haben Sie
leider recht«, seufzte Augustus, »ich unterrichte Deutsch und Geschichte an der
Sendener Hauptschule .« Wahrscheinlich beherrschten
seine Schüler nicht einmal die fundamentalsten Rechtschreibregeln, kannten
dafür aber
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